Titelbild Osteuropa 1-2/2019

Aus Osteuropa 1-2/2019

Gegen das Völkerrecht
Die Eskalation des Konflikts im Asowschen Meer

Otto Luchterhandt

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Abstract in English

Abstract

Ende November 2018 brachte Russlands Küstenwache in der Straße von Kertsch drei ukrainische Schiffe auf, die auf dem Weg nach Mariupolʼ waren. Die Schiffe wurden gerammt, beschossen und geentert. Die Besatzung wurde verhaftet und der rechtswidrigen Überschreitung der Staatsgrenze Russlands beschuldigt. Russlands Vorgehen ist völkerrechtswidrig. Zweck der gewaltsamen Aktion war es, die von Russland im Widerspruch zum Völkerrecht in Anspruch genommene Hoheit über die Meerenge von Kertsch gegenüber der Ukraine und der internationalen Öffentlichkeit demonstrativ zur Geltung zu bringen und die ukrainische Kriegsmarine einzuschüchtern. Russland setzt mit diesem gewaltsamen Vorgehen die völkerrechtswidrige Okkupation und Annexion der Krim fort.

(Osteuropa 1-2/2019, S. 3–22)

Volltext

Ende November 2018 brachte Russlands Küstenwache in der Straße von Kertsch ukrainische Schiffe auf, die auf dem Weg nach Mariupolʼ waren. Die Schiffe wurden gerammt, beschossen und geentert. Die Besatzung wurde verhaftet und der rechtswidrigen Überschreitung der Staatsgrenze Russlands in schweren Fällen beschuldigt. Russlands Vorgehen ist völkerrechtswidrig. Der Zweck der gewaltsamen Aktion war es, die von Russland im Widerspruch zum Völkerrecht in Anspruch genommene Hoheit über die Meerenge von Kertsch gegenüber der Ukraine und der internationalen Öffentlichkeit demonstrativ zur Geltung zu bringen und die ukrainische Kriegsmarine einzuschüchtern. Russland setzt mit diesem gewaltsamen Vorgehen die völkerrechtswidrige Okkupation und Annexion der Krim fort.

Ende November 2018 wurde die internationale Öffentlichkeit durch einen gewaltsamen Zusammenstoß zwischen Russland und der Ukraine in der Meerenge von Kertsch, unweit der Ostküste der Krim, aufgeschreckt.[1] War zunächst unklar, was sich ereignet hatte, ergab sich wenig später folgendes Bild: Am Sonntag, den 25. November, näherten sich frühmorgens drei Schiffe der ukrainischen Kriegsmarine, die Kanonenboote „Berdjansʼk“ und „Nikopol“ sowie der Schlepper „Jany Kapu“, von Westen her der Meerenge von Kertsch, dem Zugang zum Asowschen Meer.[2] Die Schiffe kamen aus Odessa. Ihr Ziel war die ukrainische Großstadt Mariupolʼ am Nordufer des Asowschen Meeres. Russlands Küstenwache waren sie am Vortage auf der Höhe der Krim aufgefallen und wurden seit dem Nachmittag des 24.11. von einem Schiff der Schwarzmeerflotte und einem Kanonenboot der Küstenwache auf parallelem Kurs begleitet. Um 22 Uhr erhielten die ukrainischen Schiffe von ihren russländischen „Begleitern“ die Mitteilung, dass die Durchfahrt vom Schwarzen ins Asowsche Meer bis Montagnacht, d.h. für 72 Stunden, gesperrt sei. Eine Begründung erhielten sie nicht.

Die ukrainischen Schiffe setzten ihre Fahrt in internationalen Gewässern fort und informierten auf der Höhe der Meerenge von Kertsch den für die Verkehrsregelung der Durchfahrt zuständigen Dispatcher im Hafen von Kertsch über die Absicht, Kurs auf die nahe dem Ostufer der Krim verlaufende Fahrrinne, den natürlichen „Kertsch-Jenikale-Kanal“, zu nehmen. Der Föderale Sicherheitsdienst Russlands (FSB), dem auch der Grenzschutz des Landes untersteht, hat die Anmeldung in seinem Bericht bestätigt.[3]

Die Grenzschutzbehörden des FSB hatten inzwischen die Durchfahrt durch den Kanal an der Autobahnbrücke, die nach dreijähriger Bauzeit im Mai 2018 zwischen den Halbinseln Tamanʼ und Krim in Betrieb genommen worden war, durch quergestellte Schiffe blockiert. Der FSB teilte am Abend des 25.11. mit, dass zwei ukrainische Kanonenboote und ein Schlepper, die aus dem Hafen von Berdjansʼk ausgelaufen seien, um von Norden den bedrängten Schiffen in der Meerenge zu Hilfe zu kommen, vom russländischen Küstenwachschiff „Jamalec“ an der Einfahrt in den Kertsch-Jenikale-Kanal gehindert worden seien.[4]

Die ukrainischen Schiffe waren zwar in die Meerenge von Kertsch eingefahren, wurden nun aber von den russländischen Küstenwachschiffen „Izumrud“ und „Don“ sowie Kampfhubschraubern gestoppt und bedrängt. Nachdem der Schlepper „Jany Kapu“ mehrfach gerammt worden war, traten die ukrainischen Schiffe den Rückweg an. Bevor sie die Meerenge von Kertsch verlassen konnten, wurden sie von elf Schiffen der russländischen Küstenwache eingekesselt, beschossen, geentert, in den Hafen von Kertsch geschleppt und beschlagnahmt. Durch den Beschuss erlitten die ukrainischen Schiffe erhebliche Schäden. Drei ukrainische Matrosen trugen Verletzungen davon und wurden in Kertsch ärztlich behandelt. Die Besatzung wurde der rechtswidrigen Überschreitung der Staatsgrenze Russlands in schweren Fällen (Art. 322 Abs. 2 StGB RF) beschuldigt. Gegen die festgenommenen 24 ukrainischen Matrosen verfügten die Regionalgerichte von Simferopol und Kertsch noch am 26. November die Inhaftierung. Zum Vollzug der Untersuchungshaft verlegte sie der FSB nach Moskau in die in seiner Regie befindliche Haftanstalt Lefortovo, die drei verletzten Seeleute kamen in die Haftanstalt „Matrosenruhe“ (Matrosskaja Tišina).

Den Vorwurf, die Besatzungen der ukrainischen Kriegsschiffe hätten mit der Einfahrt in die Meerenge von Kertsch die Staatsgrenze Russlands verletzt, begründet Russland mit Argumenten, die Russlands Außenministerium nur wenige Tage vor dem „Zwischenfall“, am 21. November, in einer Grundsatzerklärung dargelegt hatte. Darin heißt es:

Russland weist jeden Vorwurf aggressiver oder illegaler Handlungen im Asowschen Meer und in der Straße von Kertsch entschieden zurück. Seit ihrer Wiedervereinigung mit Russland sind die Republik Krim und die Stadt Sevastopol integraler Bestandteil der Russländischen Föderation, die ihre Souveränität, ihre souveränen Rechte und ihre Gerichtsbarkeit in den an die Krim angrenzenden Meeresgebieten im Einklang mit dem Völkerrecht ausübt. Das Vorgehen Russlands dort steht im Einklang mit dem Völkerrecht, das darauf abzielt, seine nationale Sicherheit zu schützen, und ist proportional zu den extremistischen Bedrohungen für Russland, einschließlich der Drohungen der Ukraine. Das Asowsche Meer ist ein Binnengewässer Russlands und der Ukraine, in dem nur russländische und ukrainische Schiffe die Freiheit der Schifffahrt genießen. Die Meerenge von Kertsch ist und war keine internationale Wasserstraße im Sinne des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (1982), und daher sind alle Ansprüche bezüglich des Rechts auf Transit oder freie Durchfahrt für ausländische Schiffe in der Meerenge nicht anwendbar.

Zwei Tage später, am 23.11.2018, bekräftigte Außenminister Sergej Lavrov auf einer Pressekonferenz in Rom unter ausdrücklichem Hinweis auf diese Erklärung Russlands Position:

"Ich erinnere auch daran, dass die Meerenge von Kertsch keine vom Völkerrecht geregelte Meerenge ist, sondern eine Meerenge Russlands. Wir waren nicht zufällig gezwungen, dort die Anwesenheit unserer Grenzsoldaten und Militärs zu verstärken, als offizielle Personen der Ukraine wiederholt versprachen, Vorbereitungen zu treffen, die Krim-Brücke über die Meerenge von Kertsch zu sprengen." [5]

Auf dieser Linie beschuldigte Außenminister Lavrov am 26. November kaum verhohlen den Präsidenten der Ukraine Petro Porošenko persönlich, den Zwischenfall geplant und Russland provoziert zu haben, um sein politisches Ansehen bei den Bürgern der Ukraine und bei seinen westlichen Partnern aufzubessern.

Als die ukrainische Seite diese Provokation plante, muss sie den zusätzlichen Nutzen berechnet haben, den sie aus dieser Situation ziehen wollte, in der Erwartung, die USA und Europa würden die Anzettler (instigators) wie üblich blind unterstützen.

Die vom 21. bis 26. November Schlag auf Schlag ablaufenden Ereignisse drängen indes den entgegengesetzten Eindruck auf, dass es sich nämlich um eine russische „Provokation“ gehandelt hat: Die ohne erkennbaren Anlass vom Außenministerium Russlands herausgegebene Grundsatzerklärung zur Meerenge von Kertsch und zum Asowschen Meer am 21.11., die wie bestellt an sie anknüpfende Äußerung von Außenminister Lavrov am 23.11. in Rom, die Sperrung der Straße von Kertsch am 24.11., die gewaltsame Aufbringung der ukrainischen Kanonenboote am 25.11. und Lavrovs prompter Vorwurf an Präsident Porošenkos Adresse am 26.11.2018 – dieser Ablauf spricht dafür, dass Russland den „Zwischenfall“ geplant hat, um ein Exempel zu statuieren, um die Ukraine einzuschüchtern und dem Westen seine Ohnmacht im Konflikt um die Krim und um die Ostukraine ein weiteres Mal vor Augen zu führen.

Ein starkes Indiz dafür, dass Russland den Zwischenfall absichtlich herbeigeführt hat, liefert die Tatsache, dass noch am 23./24. September 2018 ein kleiner Verband ukrainischer Kriegsschiffe, das Kanonenboot „DonBass“ und der Schlepper „Korec“, ohne Zwischenfälle die Meerenge von Kertsch passieren und den Hafen von Berdjansʼk ansteuern konnte. Auf Vorwürfe von ukrainischer Seite wegen gewisser Störmanöver erklärte der stv. Vorsitzende des Parlaments der Krim, Efim Fiks, öffentlich:

Sie wurden nicht gestört. Alles verlief nach den Regeln, in Übereinstimmung mit allen Normen des internationalen Seerechts und der Sicherheitsmaßnahmen. Sie passierten die Straße von Kertsch unter dem Bogen der Brücke, betraten das Asowsche Meer und kamen an ihr Ziel. Damit endete das Ganze. Man sollte weniger in Panik geraten. [6]

Die ohne einen Anlass herausgegebene Grundsatzerklärung des Moskauer Außenministeriums zur Rechtslage des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch und ihr fragwürdiger Inhalt legen den Schluss nahe, dass Russland mit ihr einen Kurswechsel eingeleitet hat. Die in historischer und juristischer Hinsicht anfechtbaren Positionen der Erklärung spielen in der politischen Diskussion über den Zwischenfall vom November 2018 eine wichtige Rolle. Sie liefern den Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Konflikts und der Standpunkte, die Russland und die Ukraine in ihm einnehmen.

Vorgeschichte: Die Grenze in der Meerenge von Kertsch

Die Meerenge von Kertsch war immer von herausragender Bedeutung. Das liegt teils an der strategischen Lage der Krim, die das Schwarze Meer beherrscht, teils weil die Straße von Kertsch und das Asowsche Meer den Zugang zum Süden der Ukraine und Russlands erschließen. Nachdem sie Jahrhunderte hindurch vom Khanat der Krimtataren und vom Osmanischen Reich beherrscht worden war, fiel sie, besiegelt durch den Friedensvertrag von Kütschük Kainardschi (Art. 19), zusammen mit der Festung Kertsch 1774 an Russland.[7] Katharina II. schloss die Einverleibung der einander gegenüberliegenden Halbinseln Krim und Tamanʼ in das Zarenreich durch ein Manifest vom 8. April 1783 ab.

Nach dem Ende des Zarenreiches wurde die Krim 1921 Teil der Russländischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) mit dem Status einer Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR). Das hatte zur Folge, dass die Meerenge von Kertsch zu einer administrativen Grenze zwischen zwei Verwaltungsgebieten innerhalb der RSFSR wurde, der Krim und der Region Krasnodar, die 1937 aus mehreren Vorläufern hervorgegangen war. Die Verwaltungsgrenze verlief in meist größerer Entfernung östlich der Fahrrinne des nahe der Halbinsel Krim nach Norden, zum Asowschen Meer verlaufenden Kertsch-Jenikale-Kanals.

Anlass zu einem Streit hatte die Verwaltungsgrenze während der Sowjetzeit nicht gegeben. Ein gewisses Problem warf jedoch schon damals die flache, aus Schwemmsand bestehende „Landzunge“ (kosa) Tuzla auf, die sich vom westlichsten Punkt der Halbinsel Tamanʼ gut zehn Kilometer nach Nordwesten in Richtung der Stadt Kertsch erstreckte. Sie hatte in der Zarenzeit zur Verwaltung der östlich gelegenen Halbinsel Tamanʼ gehört. In der RSFSR änderte sich das: das Allrussische Zentralexekutivkomitee (VCIK) gliederte Tuzla durch Beschluss vom 13. August 1922 in die Autonome Sowjetrepublik Krim (Stadtsowjet von Kertsch) ein.[8] Nachdem 1925 in einiger Entfernung vom östlichen Ufer die Landzunge zur Erleichterung des Bootsverkehrs mit einem Kanal durchschnitten und der Durchbruch infolge einer Sturmflut stark erweitert worden war, hatte sich der nordwestliche Teil Tuzlas in eine Insel verwandelt. Das Präsidium des Obersten Sowjets der RSFSR bestätigte am 7. Januar 1941 durch Dekret (ukaz) förmlich, dass die „Insel Tuzla“ aus dem Temrjuk-Rayon der Region Krasnodar ausgegliedert und in „die Krimsche ASSR“ eingegliedert worden sei.[9] Im Ergebnis war die Verwaltungsgrenze der Region Krasnodar in jenem Abschnitt noch weiter vom Kertsch-Jenikale-Kanal entfernt.

An dem Grenzverlauf in der Straße von Kertsch änderte sich bis zum Untergang der Sowjetunion nichts mehr. Die Verwaltungsgrenze erfuhr indes eine einschneidende Statusänderung, als im Frühjahr 1954 das Verwaltungsgebiet Krim aus der RSFSR aus- und in die Ukrainische Sowjetrepublik eingegliedert wurde, denn dadurch wurde sie zur staatsrechtlichen Grenze zweier Unionsrepubliken. Das geschah auf Beschluss der Führung der KPdSU und wurde vom Obersten Sowjet der UdSSR formell verfassungsrechtlich sanktioniert.[10] Mit Erlangung der Unabhängigkeit der Ukraine und Russlands wurde zwischen ihnen aus der staatsrechtlichen Grenze nach Sowjetrecht eine internationale Grenze nach Völkerrecht.

Abgeordnete des Regionalparlaments von Krasnodar haben die Veränderung nicht hinnehmen wollen und mit diversen Eingaben an die zentralen Organe der Russländischen Föderation und insbesondere an Präsident Boris Elʼcin gefordert, die Aufhebung der Beschlüsse über den territorialen Status von Tuzla durchzusetzen und den Grenzverlauf zur Ukraine in jenem Abschnitt zu korrigieren.[11] Erfolg hatten sie damit in der Elʼcin-Ära nicht. Im Gegenteil: Russland und die Ukraine schlossen Ende Mai 1997 einen Vertrag „über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft“, der alle zwischen beiden Ländern noch schwelenden Streitfragen einschließlich der Aufteilung der Schwarzmeerflotte[12] und Russlands Präsenz auf der Krim regelte.[13] Ausdrücklich verpflichteten sich beide Staaten darin, „die Prinzipien der souveränen Gleichheit, der territorialen Integrität, der Unverletzlichkeit der Grenzen, der friedlichen Streitbeilegung, der Nichtanwendung von Gewalt und der Drohung mit Gewalt unter Einschluss von wirtschaftlichen oder sonstigen Druckmitteln“ zu wahren (Art. 3). Einen Vorbehalt hinsichtlich des Verlaufs der in der Sowjetzeit zwischen beiden Ländern gezogenen Grenzen enthält der Vertrag nicht. Ein solcher findet sich auch in keiner anderen Vereinbarung der beiden Staaten. Die Ukraine ergriff denn auch von der Insel Tuzla realen Besitz, ohne dass Moskau dagegen förmlich Widerspruch erhob.

Das drohte sich seit etwa 2001 nach der Übernahme der Präsidentschaft durch Vladimir Putin zu ändern. Russland erklärte nun – in der Ukraine war noch Leonid Kučma Präsident – die Delimitation der ukrainisch-russländischen Grenze sowie die gemeinsame Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch für regelungsbedürftig. Tatsächlich einigten sich beide Seiten am 28. Januar 2003 auf einen Grenzvertrag[14] und am 24. Dezember 2003 auf einen Vertrag „über die Zusammenarbeit bei der Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch“.[15] Art. 2 des Grenzvertrages beschreibt mit zwei Anlagen erstens verbal den konkreten Grenzverlauf im Gelände mit 1323 Punkten und zweitens durch eine beigefügte Landkarte, in der die Grenze mit „roter Linie“ eingetragen ist.[16] Sie führt allerdings nur bis zum Golf von Taganrog, bezieht also das Asowsche Meer und die Meerenge von Kertsch nicht ein. Daraus durfte man schließen, dass die Delimitierung jener Grenzabschnitte einem besonderen Abkommen vorbehalten sein sollte. Dafür spricht auch Art. 5 des Grenzvertrages:

Die Regelung der Fragen, die gemischte Meeresräume betreffen, wird gemäß einer Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht realisiert. Dabei fügt nichts im vorliegenden Vertrag den Positionen der Russländischen Föderation und der Ukraine in Bezug auf den Status des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch als inneren Gewässern der zwei Staaten einen Nachteil zu.[17]

Über eine solche Vereinbarung unter Einschluss einer Grenzbeschreibung für das Asowsche Meer und die Meerenge von Kertsch haben die Ukraine und Russland in den seit 1996 arbeitenden Fachkommissionen zwar weiter verhandelt, aber keine Einigung erzielt. Daraus durfte freilich nicht der Schluss gezogen werden, der Grenzverlauf insbesondere in der Meerenge von Kertsch sei unklar gewesen, denn gerade in Bezug auf die Insel Tuzla war die in der Sowjetzeit getroffene Regelung zugunsten der ASSR der Krim völlig eindeutig. Das erkannte – widerstrebend – auch Russland an. Als Ende September 2003 die Behörden der Region Krasnodar damit begannen, einen Verbindungsdamm von der Halbinsel Tamanʼ zur Insel Tuzla zu bauen, worüber ein heftiger Streit mit Kiew ausbrach, und die ukrainischen Behörden Maßnahmen dagegen trafen,[18] stellte die russländische Seite das Vorhaben ein.[19] Die Umstände des Streites lassen keinen Zweifel daran zu, dass die Regionalbehörden bei ihrer Aktion die Rückendeckung Moskaus hatten. Der strategischen Bedeutung der nahe an den Kertsch-Jenikale-Kanal heranreichenden Landzunge Tuzla war man sich auch dort wohl bewusst, und die heute über sie zur Krim führende Autobahn, für die schon damals Pläne vorlagen, bestätigt das.

Moskaus Bestreben, die Grenzziehung in der Schwebe zu halten, zeigte sich erneut 2005, als die Presseabteilung des russländischen Außenministeriums einerseits zwar einräumte, dass die Ukraine „gegenwärtig die Jurisdiktion über dieses Territorium ausübe“, gemeint war die Insel Tuzla, ihre territoriale Zugehörigkeit aber für umstritten erklärte.[20]

Der Schwebezustand schien am 12. Juli 2012 durch die Präsidenten Viktor Janukovyč und Putin beendet zu werden, als sie in Soči eine „Gemeinsame Erklärung über Fragen der Delimitierung der Meeresräume im Asowschen und im Schwarzen Meer und in der Meerenge von Kertsch“ unterzeichneten.[21] Die Erklärung beschwor feierlich „den Geist der Freundschaft, der guten Nachbarschaft und strategischen Partnerschaft“, unterstrich mit großem Nachdruck die Notwendigkeit eines gemeinsamen Handelns beider Länder und begrüßte „hinsichtlich der Meerenge von Kertsch einen wesentlichen Fortschritt im Verhandlungsprozess“. Konkret wurden die Präsidenten indes nur in einem Punkt: Sie erklärten, den Kertsch-Jenikale-Kanal durch „eine gemeinsame russländisch-ukrainische Korporation“ verwalten zu wollen. Damit hatte die ukrainische Seite eine hartnäckig vertretene Forderung Russlands übernommen. Ein Durchbruch bei den seit 1996 laufenden Verhandlungen schien erreicht worden zu sein, denn die Präsidenten beauftragten die „zuständigen Ressorts“, den vorgesehenen Vertrag nun abschließend zu verhandeln und unterschriftsreif zu machen.

Ein Teil der Medien verbreitete unmittelbar darauf angebliche Details über die hinter den Kulissen getroffenen Vereinbarungen: Es hieß, Russland habe die Territorialhoheit der Ukraine über die Insel Tuzla und die angrenzenden Wasserflächen sowie über den Kertsch-Jenikale-Kanal anerkannt. Die Ukraine hingegen habe die Jurisdiktion Russlands über die beiden schmaleren und flacheren Fahrrinnen („50“ und „52“) anerkannt und sich mit der Aufteilung des im Schwarzen Meer gelegenen Gasfeldes „Pallas“ und grundsätzlich auch mit der hälftigen Aufteilung des fischreichen Asowschen Meeres einverstanden erklärt.[22]

Insgesamt konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Ukraine Forderungen Russlands weit entgegengekommen war. Die in Opposition zu Präsident Janukovyč stehenden ukrainischen Parteien übten scharfe Kritik an dem sich abzeichnenden Kompromiss. Russlands Erwartung, die Verhandlungen zügig abschließen zu können, erfüllte sich nicht. Sie wurde unrealistisch, als sich im Jahr 2013 die Konfrontation zwischen Janukovyčs Regime und der Opposition zu einer Staatskrise verschärfte und im Februar 2014 zum Sturz des Regimes führte („Majdan II“). Mit der unmittelbar darauf von Präsident Putin verfügten militärischen Okkupation der Krim und ihrer Annexion durch Russland[23] war die politische Grundlage für Grenzverhandlungen zwischen den beiden Staaten hinsichtlich der Meerenge von Kertsch und des Asowschen Meeres vollends entfallen.

In der Luft hängt seither auch der Vertrag vom 24. Dezember 2003 „über die Zusammenarbeit bei der Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch“, der wie der Grenzvertrag vom Januar 2003 den Charakter einer Grundsatzvereinbarung hat. Unter Bezugnahme auf den Freundschaftsvertrag von 1997 und den Grenzvertrag betont er die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs zum Vorteil beider Staaten, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht. Der Vertrag bestimmt den Status des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch als „innere Gewässer“ sowohl Russlands als auch der Ukraine und sieht für die Grenzziehung im Asowschen Meer und die Regelung der Nutzung der Meerenge besondere Abkommen vor (Art. 1). Im Übrigen bestätigt das Abkommen den Status quo: garantiert wird der freie Schiffsverkehr für Handels- und für Kriegsschiffe sowohl Russlands als auch der Ukraine und ferner für Handelsschiffe unter der Flagge von Drittstaaten (Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2). Kriegsschiffe dritter Staaten sind zwar von der Nutzung der Meerenge und des Asowschen Meeres nicht von vornherein ausgeschlossen, doch ist ihnen der Zugang nur aufgrund einer ausdrücklichen Einladung gestattet, die der Zustimmung der jeweils anderen Seite bedarf (Art. 2 Abs. 3). Schließlich verpflichten sich die Vertragspartner, alle sonstigen Fragen und insbesondere eventuelle Streitigkeiten friedlich und im Wege von Verhandlungen zu lösen (Art. 4).

Annexion der Krim – Annexion auch der Meerenge von Kertsch

Infolge der Annexion der Krim durch Russland haben sich die realen Umstände sowie die politischen und rechtlichen Verhältnisse in der Meerenge von Kertsch und im Asowschen Meer fundamental und einschneidend zu Lasten der Ukraine verändert. Das Bekenntnis der Verträge von 1997 und 2003 und der Gemeinsamen Erklärung von 2012 zu brüderlicher Freundschaft, guter Nachbarschaft und strategischer Partnerschaft müssen Politikern und Diplomaten und erst recht den Bürgern wie Hohn und Spott in den Ohren klingen. Wie unter solchen Umständen die Ukraine und Russland zu einer von einem Mindestmaß an Vertrauen getragenen Kooperation in jenen ihnen von der Natur und der Geschichte gemeinsam zugewiesenen Binnengewässern in absehbarer Zeit zurückfinden können, ist unerfindlich.

Fest steht, dass der Grundlagenvertrag beider Staaten von 1997 „über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft“ vom 31. Mai 1997 wegen der Annexion der Krim und des von Russland im Donbass verdeckt gegen die Ukraine geführten Krieges seine Geschäftsgrundlage verloren hat und obsolet geworden ist. Der Vertrag war auf zehn Jahre mit der Maßgabe seiner automatischen Verlängerung um jeweils weitere zehn Jahre – bei sechsmonatiger Kündigungsfrist – geschlossen worden. Es ist daher verständlich, dass die Verchovna Rada am 6. Dezember 2018 auf Initiative von Präsident Porošenko per Gesetz beschlossen hat, den Vertrag wegen der fortgesetzten Aggression Russlands nicht zu verlängern, sondern mit Wirkung vom 1. April 2019 auslaufen zu lassen.[24]

Aus denselben Gründen hat zwar auch der Vertrag von 2003 „über die Zusammenarbeit bei der Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch“ seine Geschäftsgrundlage verloren, aber in seinem Falle stellt sich die Frage seiner eventuellen Kündigung anders dar als im Fall des „Freundschaftsvertrages“. Die Kündigung des Vertrages vom Dezember 2003 hätte für die Ukraine nämlich ernste Nachteile, denn mit seinem Außerkrafttreten verlöre sie eine Reihe erheblicher juristischer Vorteile:[25] 1. Russlands förmliche Anerkennung, dass nicht nur das Asowsche Meer, sondern auch die Meerenge von Kertsch ein „inneres Gewässer“ der Ukraine ist (Art. 1 Abs. 1); 2. die vorläufige Unbestimmtheit der Grenze im Asowschen Meer bis zum Abschluss einer förmlichen Vereinbarung darüber mit der Ukraine (Art. 1 Abs. 2); 3. Russlands Anerkennung der Verpflichtung, die Fragen, welche die Meerenge von Kertsch betreffen, nicht einseitig regeln zu dürfen, sondern nur kraft einer förmlichen Vereinbarung mit der Ukraine (Art. 1 Abs. 3); 4. Russlands ausdrückliche Anerkennung des Rechts des freien Verkehrs der ukrainischen Handels- und der ukrainischen Kriegsschiffe sowohl in der Meerenge von Kertsch als auch im Asowschen Meer (Art. 2 Abs. 1); 5. Russlands förmliche Anerkennung des Rechts von Handelsschiffen dritter Staaten, (auch) ukrainische Häfen anzulaufen und aus ihnen wieder zurückzukehren (Art. 2 Abs. 2); 6. Russlands grundsätzliche Anerkennung des Rechts von Kriegsschiffen auch dritter Staaten, auf Einladung der Ukraine die Meerenge von Kertsch zu passieren und in das Asowsche Meer einzufahren, beschränkt lediglich durch den Vorbehalt der Zustimmung von Seiten Russlands (Art. 2 Abs. 3); 7. Russlands ausdrückliche Anerkennung der Verpflichtung, in allen ökonomischen (Fischfang usw.), ökologischen (Sicherheit usw.) und sonstigen Fragen, die das Asowsche Meer und die Meerenge von Kertsch betreffen, nicht einseitig regelnd zu agieren, sondern nur im Wege von Vereinbarungen mit der Ukraine (Art. 3); 8. die förmliche Verpflichtung (auch) Russlands, sämtliche eventuellen Streitigkeiten hinsichtlich der Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch „im Wege von Konsultationen und Verhandlungen“ mit der ukrainischen Seite sowie „mit anderen friedlichen Mitteln nach Wahl der Vertragspartner“ zu lösen (Art. 4).

In der Ukraine wird seit dem Sommer 2018 über die Kündigung des Vertrages vom Dezember 2003 diskutiert.[26] Mitglieder der Fraktion Samopomičʼ in der Verchovna Rada haben am 10.7.2018 eine entsprechende Initiative ergriffen,[27] aber sie hat bislang keine breite Unterstützung gefunden.[28] Der Vertrag vom 24.12.2003 ist daher nach wie vor in Kraft.

Zuspitzung des Konflikts durch den Bau der Krim-Brücke

Seit dem Frühjahr 2018 hat sich die Lage in der Meerenge von Kertsch und infolgedessen auch im Asowschen Meer erheblich verschärft und verschlechtert, ohne dass die internationale und insbesondere die europäische Öffentlichkeit und Politik davon angemessen Kenntnis genommen hätte oder dass von europäischen Regierungen Protest dagegen eingelegt worden wäre. Besonders schwer sind die beiden ukrainischen Hafenstädte Mariupolʼ und Berdjansʼk betroffen. Am deutlichsten spiegelt sich das in ihrer Wirtschaft wider. Seit 2015 ist der Warenumschlag der Häfen drastisch gesunken, in Mariupolʼ um ein Drittel, in Berdjansʼk um die Hälfte.[29] Ursache ist der Bau und die Inbetriebnahme der vierspurigen Autobahn von der Halbinsel Tamanʼ zur Krim. Ihre Trasse führt über die Landzunge Tuzla, quert mit einer Brücke den Kertsch-Jenikale-Kanal und erreicht bei der Stadt Kertsch das Straßennetz der Krim. Russland begann 2015 mit ihrem Bau, weil nach der Annexion der Krim die Verkehrsverbindungen nach Norden gekappt und die Halbinsel von der Ukraine abgeschottet wurden.[30] Am 15. Mai 2018 wurde sie dem Verkehr übergeben.[31] Die parallel verlaufende Eisenbahnverbindung soll Ende 2019 fertig gestellt sein.

Zwei mit der Brücke verbundene Umstände belasten die Ukraine und den internationalen Schiffsverkehr in der Meerenge von Kertsch aufs Schwerste: erstens die Abmessungen der Brücke für die Durchfahrt auf dem Kertsch-Jenikale-Kanal und zweitens die Kontrollen der die Meerenge passierenden Schiffe durch den russländischen Grenzschutz.

Die unter der Brücke bestehende Öffnung ist für das durchschnittliche Aufkommen des Schiffsverkehrs in der Meerenge bei weitem zu gering bemessen. Zwar erreicht der Brückenträger eine Höhe von 80 m, aber die für die Durchfahrt maßgebende Höhe der Öffnung über dem Wasser des Kanals beträgt nur 35 m und ihre Breite nur 185 m. Die Höhe der Öffnung erscheint beträchtlich, ist aber für die heutigen Fracht- und Containerschiffe viel zu niedrig. Russland hat dadurch von vornherein und einseitig die Möglichkeiten des Schiffsverkehrs in der Straße von Kertsch und im Asowschen Meer eingeschränkt und darüber hinaus den Ausbau der Wasserstraße und ihre Anpassung an die weitere Entwicklung des internationalen Schiffsverkehrs praktisch unmöglich gemacht.[32] Eine für den internationalen Schiffsverkehr günstigere Lösung würde auf einen Neubau von Autobahn und Eisenbahnlinie hinauslaufen. Realistisch betrachtet, könnte es dazu nur und erst dann kommen, wenn die Befürchtungen der Kritiker der „Krim-Brücke“ eintreten würden, nämlich deren Havarie. Sie beziehen sich auf den weichen Untergrund, die unberechenbaren Winterstürme und den Eisgang in der Meerenge und auf eventuelle versteckte Qualitätsmängel des Materials und der Bauausführung.

Seit der Fertigstellung der Brücke im April 2018 hat der föderale Grenzschutz Russlands verstärkt sowohl die Schiffe, die den Kanal in Richtung des Asowschen Meeres passieren wollen, als auch jene, die aus dem Asowschen Meer kommen und das Schwarze Meer ansteuern, dichten Kontrollen und Inspektionen unterzogen. Russland rechtfertigt die Kontrollen damit, dass Anschläge auf die Brücke von ukrainischer Seite zu befürchten seien. Das Außenministerium gab dazu folgende Erklärung ab:

"Die Inspektionen von Schiffen, die von der Küstenwache des FSB-Grenzdienstes im Asowschen Meer und in der Straße von Kertsch durchgeführt werden, sind legitim und gerechtfertigt. Die Zunahme der Zahl dieser Inspektionen seit April 2018 ist auf die Notwendigkeit zurückzuführen, die Sicherheit in der Straße von Kertsch nach der Eröffnung der ersten Phase der Krim-Brücke zu verschärfen, und nicht auf den Wunsch, politischen oder wirtschaftlichen Druck auf die Ukraine auszuüben, wie es Kiew, Washington und Brüssel interpretieren.

Die Aktionen der russländischen Küstenwache sind nicht diskriminierend: 48 Prozent der von ihnen zwischen April und Oktober 2018 überprüften Schiffe, d.h. 720 von 1492 Schiffen, befanden sich auf dem Weg zu oder von russländischen Häfen. Entgegen dem, was die Ukraine sagt, inspiziert die russländische Küstenwache auch Schiffe unter russländischer Flagge.

Die überwiegende Mehrheit der Inspektionen – 93 Prozent – findet auf den Ankerplätzen in der Nähe des Eingangs zur Meerenge von Kertsch aus dem Schwarzen Meer oder dem Asowschen Meer statt, wenn Schiffskonvois für die Durchfahrt durch den Kertsch-Jenikale Kanal (KYC) gebildet werden. Diese Inspektionen dauern in der Regel nicht länger als drei Stunden. Ein möglicher Zeitverlust ist auf das spezielle Verfahren für die Überfahrt durch den Kertsch-Jenikale Kanal, seine Größe und die komplizierten hydrometeorologischen und Navigationsbedingungen zurückzuführen. Im Asowschen Meer werden die Schiffe selten zur Inspektion angehalten und wenn, dann nur aus zwingenden Gründen."[33]

Aus der Erklärung ergibt sich, dass sich die russländischen Grenzschutzbehörden nicht auf Stichproben beschränken, sondern sämtliche Schiffe kontrollieren. Neben einfachen Kontrollen nehmen die Behörden auch Durchsuchungen vor. Nach Angaben des zuständigen ukrainischen Ministeriums waren davon bis Anfang Juli 2018 fast 100 Schiffe mit den Zielen Mariupolʼ und Berdjansʼk betroffen. Die Kontrollen, Durchsuchungen und Inspektionen erfolgen ohne konkreten Anlass und ohne Angaben von Gründen.[34]

Infolge der eingeschränkten Durchlässigkeit der Krimbrücke, der verschärften Schiffskontrollen und willkürlich angeordneter Verzögerungen sind Staus und erheblich verlängerte Wartezeiten auf beiden Seiten der Meerenge zur Regel geworden.[35] Die Krimbrücke hat den Effekt eines Flaschenhalses. Die Nachteile treffen zwar auch Russland, namentlich die Region um Rostov am Don, aber für die Ukraine sind sie ungleich einschneidender. Die Wirtschaft und damit die Lebensfähigkeit ihrer schon allein unter dem Krieg in der Ostukraine besonders stark leidenden Hafenstädte Mariupolʼ und Berdjansʼk befinden sich seit der Inbetriebnahme der Krim-Brücke in einem beschleunigten Niedergang: „Den Häfen droht durch die Seeblockade ein langsamer Tod.“[36]

Völkerrechtswidrigkeit der Aktionen Russlands

Aus dem Blickwinkel des Völkerrechts entbehren die eingangs beschriebenen Aktionen der Rechtsgrundlage. Rechtswidrig sind:

1.  die generelle Sperrung des Krim-Jenikale-Kanals für die Durchfahrt vom Schwarzen ins Asowsche Meer vom 24. bis 26. November 2018;

2.   die aktive Verhinderung der von den ukrainischen Schiffen geplanten Durchfahrt ins Asowsche Meer mit dem Ziel Mariupolʼ;

3.   der Standpunkt, dass die Meerenge von Kertsch russländisches Binnengewässer und Staats- bzw. Hoheitsgebiet Russlands sei;

4.   der Standpunkt, dass für die Durchfahrt vom Schwarzen ins Asowsche Meer das Rechtsregime einer „ausdrücklichen Erlaubnis“ gelte, über deren Erteilung die russländischen Behörden frei entscheiden könnten;

5.   die Beschießung und Schädigung der ukrainischen Schiffe in der Meerenge von Kertsch, und zwar selbst dann, wenn sie noch innerhalb der von Russland beanspruchten 12-Seemeilen-Zone (22 km) des Küstenmeers (Art. 3 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982) erfolgt sein sollten;

6.   alle weiteren Repressionsmaßnahmen gegen die ukrainischen Schiffsbesatzungen, die Verwundung von Seeleuten, ihre Inhaftierung und Verbringung nach Moskau.[37]

Das Verhalten Russlands gegenüber den drei ukrainischen Schiffen sowie ihren Besatzungen und die von Russland gegen sie ergriffenen Maßnahmen militärischer Gewalt beruhen auf einer spezifischen juristischen Voraussetzung, nämlich dass der Anschluss der Krim und ihre Eingliederung in die Russländische Föderation am 18. März 2014 durch das Völkerrecht gerechtfertigt sei. Präsident Putin und Außenminister Lavrov haben diesen offiziellen Rechtsstandpunkt Russlands im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Straße von Kertsch und den Zugang zum Asowschen Meer erneut bekräftigt. Sie behaupten, „dass die Meerenge von Kertsch keine vom Völkerrecht geregelte Meerenge ist, sondern eine Meerenge Russlands.“ Mit diesem Standpunkt, die Herauslösung der Krim aus der Ukraine und ihre Eingliederung in die Russländische Föderation sei völkerrechtskonform, steht Russland juristisch und politisch allein da. Die internationale Staaten- und Völkerrechtsgemeinschaft ist sich, von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, darin einig, dass Russland mit dem gewaltsamen Anschluss der Krim den Tatbestand der völkerrechtswidrigen Annexion erfüllt und damit gegen das allgemeine Gewaltverbot, d.h. gegen ein Grundprinzip der universellen Völkerrechtsordnung (Art. 2 Nr. 4 der UNO-Charta), verstoßen hat.[38] Der Aufnahmevertrag der Krim mit Russland ist wegen des Verstoßes gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens) gemäß Art. 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention nichtig und folglich unwirksam. Die Krim ist daher kraft Völkerrecht nach wie vor integraler Teil der Ukraine.

Hieraus ergeben sich für die Frage der Völkerrechtskonformität der Rechtsstandpunkte und gewaltsamen Aktionen Russlands in der Meerenge von Kertsch entscheidende Konsequenzen:

  1. Der Bau der „Krim-Brücke“ von der russländischen Halbinsel Tamanʼ über die zum Hoheitsgebiet der Ukraine gehörende Insel Tuzla nach Kertsch stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Souveränität der Ukraine dar. Russland hat sich bei der noch nicht abgeschlossenen Durchführung des Bauwerks Hoheitsrechte der Ukraine angeeignet und dadurch gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot (Art. 2 Nr. 1 UNO-Charta) verstoßen. Die von Russland vorgenommenen Maßnahmen zum Schutz der Brücke entbehren infolgedessen ebenfalls der völkerrechtlichen Grundlage; sie sind ungerechtfertigt.
  2. Russland besitzt keine ausschließliche Territorialhoheit über die Meerenge von Kertsch. Die Behauptung von Außenminister Lavrov in Rom, die Meerenge sei ein „inneres Gewässer“ allein Russlands, ist wegen der Völkerrechtswidrigkeit der Krim-Annexion unzutreffend. Die Krim ist kraft Völkerrecht noch immer ukrainisches Staatsgebiet. Lavrov setzt sich mit seiner Behauptung außerdem in einen offensichtlichen Widerspruch zu dem Vertrag Russlands mit der Ukraine vom 24. Dezember 2003 „über die Zusammenarbeit bei der Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch“. Denn dieses völkerrechtliche Abkommen ist nach wie vor wirksam, weil es bislang weder von Russland noch von der Ukraine gekündigt und außer Kraft gesetzt worden ist. Der Satz in der Grundsatzerklärung des Außenministeriums „Die Meerenge von Kertsch ist und war keine internationale Wasserstraße“ widerspricht nicht nur der Geschichte jenes Vertrages, sondern bereits seinem offiziellen Titel, der die Geltung des Vertrages ausdrücklich auf die Meerenge von Kertsch erstreckt.

Die Fortsetzung des Satzes „und daher sind alle Ansprüche bezüglich des Rechts auf Transit oder freie Durchfahrt für ausländische Schiffe in der Meerenge nicht anwendbar“ widerspricht definitiv Art. 2 Abs. 2 des Vertrages von 2003, der ausdrücklich auch „Handelsschiffen unter der Flagge dritter Staaten“ gestattet, in das Asowsche Meer über die Meerenge von Kertsch zum Besuch ukrainischer und russländischer Häfen einzufahren und auf gleichem Wege wieder zurückzukehren. Nur ausländischen Kriegsschiffen versagt der Vertrag das Recht der freien Durchfahrt. Sie bedürfen der Zustimmung beider Vertragsparteien. Kriegsschiffen der Ukraine steht hingegen ebenso wie denen Russlands ausdrücklich das Recht der freien Durchfahrt in beide Richtungen zu (Art. 2 Abs. 1).

  1. Unzutreffend ist ferner der Standpunkt Russlands, für die Durchfahrt vom Schwarzen Meer in das Asowsche Meer gelte das „Erlaubnisverfahren“ (rasrešitelʼnyj porjadok), weswegen Russland berechtigt sei, Kontrollen sowohl in der Meerenge von Kertsch als auch im Asowschen Meer durchzuführen.[39] Die seit der Inbetriebnahme der Krim-Brücke vom Inlandsgeheimdienst FSB und seinen paramilitärischen Verbänden durchgeführten einseitigen Inspektionen, Durchsuchungen und Kontrollen sind durch den Vertrag von 2003 nicht gedeckt. Sie widersprechen sowohl dem in Art. 1 des Vertrages lapidar formulierten Grundsatz und Recht der „freien Schifffahrt“ beider Seiten im Vertragsgebiet als auch und erst recht dem in der Präambel des Vertrages beschworenen Geist der Freundschaft und der friedlichen Zusammenarbeit.

Die von Außenminister Lavrov aufgestellte Behauptung, die Kontrollen und Inspektionen beruhten auf vertraglichen Vereinbarungen mit der Ukraine, ist unzutreffend. Der Vertrag vom 24.12.2003 spricht von einer „gemeinsamen Tätigkeit“ der Vertragspartner insbesondere „auf dem Gebiet der Schifffahrt unter Einschluss ihrer Regelung sowie ihrer nautischen und hydrographischen Gewährleistung“ (Art. 3). Die Bestimmung ermächtigt keine der Vertragsparteien zu einseitigen Eingriffen in den Schiffsverkehr. Nichts anderes aber sind die von Russlands Grenzschutzbehörden durchgeführten Kontrollen und „Inspektionen“.

Die Bestimmung legitimiert entgegen der Ansicht des russländischen Außenministeriums auch kein Erlaubnisverfahren für die Passage in der Meerenge von Kertsch, sondern lediglich technische Regeln und Maßnahmen zur Gewährleistung sicherer Durchfahrten im Interesse des freien Schiffsverkehrs. Solche Regeln und Vorschriften hat es für die Meerenge in der Tat immer gegeben. Gegenwärtig gilt – noch immer – die „Vorläufige Ordnung“ (vremennoe položenie), welche die Wasserbehörden der Ukraine und Russlands am 18. Januar 2007 in Kraft gesetzt haben.[40] Sie verpflichtet die Schiffe, die sich zur Durchfahrt durch die Meerenge anschicken, sich bei dem im Hafen von Kertsch (Autonome Republik Krim) dislozierten Dispatcherdienst in dem dafür vorgesehenen Verfahren unter Nennung der relevanten Schiffsdaten anzumelden und das Signal für die Freigabe der Durchfahrt in der Reihenfolge der einlaufenden Schiffe abzuwarten. Die „Vorläufige Ordnung“ sieht folglich kein Erlaubnis- oder Genehmigungsverfahren, sondern lediglich ein informatorisches Anmeldeverfahren vor. Der durch den bilateralen Vertrag vom Dezember 2003 begründete Rechtsanspruch auf freie Durchfahrt der Meerenge und freies Befahren des Asowschen Meeres wird dadurch in keiner Weise eingeschränkt. Im Gegenteil: Die „Vorläufige Ordnung“ dient der Sicherheit und damit auch der Freiheit des Schiffsverkehrs im Vertragsgebiet. Demgegenüber orientiert sich der Standpunkt Russlands primär an seinen Sicherheitsinteressen, denen es vor der Freiheit der Schifffahrt und zu ihren Lasten unbedingten Vorrang einräumt. Das steht im Widerspruch nicht nur zum Geist, sondern auch zum Buchstaben des Vertrages.

  1. Mit der Beschießung und Schädigung der ukrainischen Schiffe in der Meerenge von Kertsch hat Russland Gewalt gegen Kriegsschiffe der Ukraine angewendet. Gerechtfertigt war das nicht, denn entweder bewegten sich die ukrainischen Schiffe in der 12-Seemeilen-Zone (22 km) des „Küstenmeeres“ der Krim (Art. 3 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 – SRÜ) und folglich in ukrainischen Hoheitsgewässern oder die ukrainischen Schiffe befanden sich während der russländischen Attacke in der sich 24 Seemeilen ausdehnenden, die Ukraine privilegierenden „Anschlusszone“ (Art. 33 SRÜ) oder sie befanden sich außerhalb irgendwelcher Hoheitsgewässer auf „Hoher See“ (Art. 87 SRÜ). Mit der ungerechtfertigten Gewaltanwendung gegen ukrainische Kriegsschiffe hat Russland gegen das allgemeine Gewaltverbot der UN-Charta (Art. 2 Nr. 4) verstoßen.
  2. Entsprechendes gilt für die weiteren Repressionsmaßnahmen sowohl gegen die ukrainischen Schiffe (Beschlagnahme; zwangsweises Abschleppen in den Hafen von Kertsch) als auch gegen die Matrosen, die als Marinesoldaten im staatlichen Dienst der Ukraine standen. Ihre Festnahme, Verwundung,  ihre Freiheitsberaubung durch zwangsweise Verbringung nach Kertsch und später nach Moskau sowie ihre Inhaftierung wegen der angeblichen Verletzung einer Staatsgrenze, die nicht die Grenze Russlands war, sondern die Überschreitung der Grenze ihres eigenen Heimatstaates, der Ukraine, waren sämtlich Formen ungerechtfertigter Gewaltausübung Russlands gegen Hoheitsträger eines fremden Staates. Sie verletzten und verletzen ebenfalls das allgemeine völkerrechtliche Gewaltverbot. 

Schlussfolgerungen

Russland hat den „Zwischenfall“ in der Meerenge von Kertsch am 25./26. November 2018 absichtlich herbeigeführt. Der Zweck der gewaltsamen Aktion gegen die ukrainischen Schiffe und ihre Besatzung war es, die von Russland im Widerspruch zum Völkerrecht in Anspruch genommene Hoheit über die Meerenge von Kertsch gegenüber der Ukraine und der internationalen Öffentlichkeit demonstrativ zur Geltung zu bringen, die ukrainische Kriegsmarine einzuschüchtern und sie zu zwingen, sich den völkerrechtswidrigen Befehlen der russländischen Behörden zu unterwerfen.

Russland setzt mit diesem gewaltsamen Vorgehen gegen die ukrainischen Schiffe – innerlich folgerichtig – die völkerrechtswidrige Okkupation und Annexion der Krim fort. Die Einverleibung der Krim in die Russländische Föderation hatte und hat unausweichlich den Preis, dass die Halbinsel von den Versorgungslinien und den Verkehrsverbindungen mit der Ukraine abgeschnitten wurde und sich isolierte. Das wiederum zwang dazu, die Krim auch über eine Landverbindung mit Russland zu verbinden. Die Annexion der Krim ermöglichte es Russland, die bereits zur Sowjetzeit geplante Straßen- und Eisenbahnverbindung von der Halbinsel Tamanʼ über die Landzunge Tuzla und die Meerenge von Kertsch bis zur Krim unter Ausschluss der Ukraine zu bauen. Indem Russland sich beim Bau und Betrieb von Straße und Kanal faktisch die Territorialhoheit über die Krim aneignete und weitere Hoheitsrechte auf ukrainischem Gebiet ausübte, hat es gegen das völkerrechtliche Verbot der Intervention in die Souveränität eines anderen Staates, der Ukraine, verstoßen (Art. 2 Nr. 1 UNO-Charta).

Der Bau der Straßen- und Eisenbahnverbindung durch die Meerenge von Kertsch und die Querung des Kertsch-Jenikale-Kanals mit einer Brücke hatte und hat den Preis, dass wegen der begrenzten technischen Maße der „Krim-Brücke“ die Frequenz der Durchfahrten zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer erheblich gesunken ist, Russland aus Furcht vor Anschlägen auf die Brücke die den Kanal passierenden Schiffe ausnahmslos kontrolliert, der Schiffsverkehr zu den ukrainischen Häfen Mariupolʼ und Berdjansʼk drastisch gesunken ist und dass aus allen diesen Gründen Russland der Ostukraine und damit der Ukraine insgesamt schwere und dauernde wirtschaftliche Schäden zufügt.

Alle diese kausal miteinander verbundenen und ausschließlich von Russland zu verantwortenden Faktoren verletzen das Völkerrecht, denn sie stehen im Widerspruch zu fast allen Bestimmungen des zwischen Russland und der Ukraine am 24. Dezember 2003 geschlossenen Vertrages „über die Zusammenarbeit bei der Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch“.

Russland, vertreten durch Außenminister Lavrov, behauptet zwar, dass alle seine Standpunkte und alle von ihm durchgeführten Maßnahmen, von der Okkupation und Annexion der Krim über den Bau der Autobahn nach Kertsch bis zu den Inspektionen und unter Umständen auch Anwendung von militärischer Gewalt in der Meerenge von Kertsch und im Asowschen Meer durch das Völkerrecht gerechtfertigt seien, aber es gründet seine Argumente und seine Beweisführung, angefangen bei seiner Intervention auf der Krim im Februar und März 2014, nicht auf wahrheitsgetreue Tatsachen, sondern auf eine Mischung aus Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen. Es ist daher kein Zufall, dass Russland mit seinen Standpunkten, die Einverleibung der Krim durch die Russländische Föderation sei völkerrechtskonform gewesen, die Meerenge von Kertsch ausschließlich russländisches Staatsgebiet und die Maßnahmen gegen die ukrainischen Schiffe am 25. November 2018 gerechtfertigt gewesen, in der Welt weitgehend allein dasteht.[41]

Russlands offizieller Umgang mit dem Völkerrecht ist im Zusammenhang mit der Ukraine seit der Annexion der Krim – die Behandlung der bilateralen Verträge mit der Ukraine zeigt das deutlich – durch eine einseitige, selektive Heranziehung allein solcher Normen gekennzeichnet, die Russlands Standpunkte zu stützen scheinen, durch Ignorieren oder Verschweigen unbestreitbarer vertraglicher Verpflichtungen, durch offensive, laute Beschuldigungen der Ukraine wegen eines Verhaltens, das in der Regel nicht die Ukraine, sondern Russland sich vorwerfen lassen muss, oder durch dreiste Behauptungen, die sich bei näherer Prüfung als Verdrehung von Tatsachen, als unrichtig, als unbelegt und unbelegbar oder als schlichte Propaganda erweisen.

Russland betreibt seit dem Sturz des Ex-Präsidenten Viktor Janukovyč gegen die Ukraine und ihre politische Führung eine aggressive, von Hass und Verachtung erfüllte Propaganda, in welcher – mehr oder weniger geschickt – unbewiesene Behauptungen und platte Lügen mit wahren Tatsachen vermischt sind. Seine Führung scheint davon überzeugt zu sein, dass das Land im internationalen Meinungskampf mit der Ukraine auf die Dauer damit Erfolg hat, weil Russland kraft seines politischen Schwergewichts weltweit Gehör findet, während die Stimme der Ukraine meist nur schwach oder gar nicht vernehmbar ist.

 


[1]   Markus Ackeret: Eskalation zwischen Kiew und Moskau. Neue Zürcher Zeitung, 27.11.2018. – Ders.: Russland stärkt seine Südflanke. NZZ, 6.12.2018. – Silke Bigalke: Als wärʼs ein russischer See. Süddeutsche Zeitung, 8./9.12.2018. – Alice Bota: Der verdrängte Krieg ist zurück. Die Zeit, 29.11. 2018. – Gerhard Gnauck, Michael Stabenow, Marie Katharina Wagner: Die Angst vor einem Krieg. FAZ, 27.11.2018, S. 2.

[2]   Die Darstellung des Geschehens in der Meerenge von Kertsch orientiert sich an „Investigating the Kertch Strait Incident“, <www.bellingcat.com/news/uk-and-europe/2018/11/30/ investigating-the-kerch-strait-incident/> und an den Versionen des Föderalen Sicherheitsdienstes Russlands (FSB) und des Generalstaatsanwalts der Ukraine, welche die Novaja Gazeta veröffentlichte. Die Darstellungen des Sachverhalts unterscheiden sich nur unwesentlich. <www.novayagazeta.ru/articles/2018/12/08/78867-vyshli-vo-vnutrennee-more>.

[3]   Das stand im Widerspruch zur Behauptung des Außenministeriums Russlands, dass die Kapitäne der ukrainischen Schiffe die Durchfahrt nicht angemeldet hätten. Porošenko poplyl, Rossijskaja Gazeta, 26.11.2018, <https://rg.ru/2018/11/26/reg-ufo/zachem-vlasti-ukrainy-napravili-korabli-v-kerchenskij-proliv.html>.

[4]   Anton Naumljuk, <www.novayagazeta.ru/articles/2018/12/08/78867-vyshli-vo-vnutrennee-more>.

[5]   <https://oko-planet.su/politik/politikday/465286-vystuplenie-i-otvety-na-voprosy-ministra-inostrannyh-del-rossii-svlavrova-na-konferencii-sredizemnomore>. Auf der Konferenz in Rom ging es an sich um die Zusammenarbeit der Mittelmeeranrainerstaaten. Die auf der Pressekonferenz zum Asowschen Meer an Lavrov von einem russischen Journalisten gerichtete Frage war eine „Steilvorlage“.

[6]   Ebenso äußerte sich der Generaldirektor der Seehäfen der Krim, Aleksej Volkov: Korably VMS Ukrainy prošli po kerčenskomu prolivu štatno, zajavili v Krymu, RIA Novosti, 24.9.2018, <https://ria.ru/20180924/1529192945.html>.

[7]   E.I. Družinina: Kjučuk-Kajnardžijskij mir 1774 goda (ego podgotovka i zaključenie). Moskau 1955, S. 349–360 (Text des Vertrages).

[8]   Aleksandr Travnikov: Kosa Tuzla i strategičeskie interesy Rossii. Rostov na Donu 2005, S. 104.

[9]   Kopie des Dekrets bei Travnikov, Kosa Tuzla [Fn. 8], S. 218.

[10] Dekret (ukaz) des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19.2.1954 (Vedomosti Verchovnogo Soveta [VVS] SSSR 4/1954, Pos. 64), bestätigt durch das Gesetz zur Änderung der Unionsverfassung vom 26.4.1954 (VVS SSSR 10/1954, Pos. 211). Die ASSR der Krim war 1945/1946 nach der Deportation u.a. der Krimtataren von der RSFSR zu einem „Gebiet Krim“ heruntergestuft worden. Die Änderung der Unionsverfassung durch vorgängiges Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjet mit nachträglicher Bestätigung seines Plenums widersprach zwar formell der Vorschrift über das Verfahren der Verfassungsänderung (Art. 146 UdSSR-Verfassung), war aber auf der Grundlage der maßgebenden Parteibeschlüsse wegen der Praxis der Einstimmigkeit aller Entscheidungen sowohl des Präsidiums als auch des Plenums des Obersten Sowjets und wegen der seltenen Tagungen des Plenums längst Verfassungsgewohnheitsrecht geworden. Reinhard Maurach: Handbuch der Sowjetverfassung, 1955, S. 173f., S. 422. – Ausführlich zum Verfahren: Almanach Ostrov Krym, 1/2000, <ok.archipelag.ru>. Die Sowjetunion war weder ein Rechts- noch ein Verfassungsstaat. Ihre Machthaber gingen mit juristischen Verfahrensvorschriften willkürlich, je nach politischem Belieben, um. Nach heutigen verfassungsrechtlichen Maßstäben darüber urteilende Kritiker in Russland und im Westen ignorieren diese – ihnen eigentlich wohl bekannte – Tatsache, ohne die Änderung des Maßstabes ihrer Bewertung zu begründen. Exemplarisch V.A. Tomsinov: „Krymskoe pravo“ ili juridičeskie osnovanija dlja vossoedinenija Kryma s Rossiej, in: Vestnik Moskovskogo Universiteta. Serija Pravo, 2/2014, S. 3–32 (21ff.).

[11] Eingabe des „Gesellschaftlichen Komitees ‚Für die Rückführung der angestammten Länder des Kuban‘“ an Präsident Elʼcin vom 15.10.1997. Travnikov, Kosa Tuzla [Fn. 8], S. 212f.

[12] Der Streit über die Schwarzmeerflotte wurde am 28.5.1997 durch zwei Vereinbarungen ebenfalls beigelegt. Texte in: Diplomatičeskij Vestnik, 8/1997.

[13] Ukrainischer Text: Vidomosti Verchovnoì Rady Ukraìny [VVRU] 16/1998, Pos. 74. – Oficijnyi Visnyk Ukraìny 20/1999, Pos. 931. Die Ukraine hatte den Vertrag am 17.12.1997 ratifiziert, Russland war dem am 2.3.1999 gefolgt. Sobranie Zakonodatel’stva Rossijskoj Federacii– SZRF – 10/1999, Pos. 1159. Am 1.4.1999 trat der Vertrag in Kraft.

[14] Vertrag über die russländisch-ukrainische Staatsgrenze, Text: Vidomosti Verchovnoì Rady Ukraìny (VVRU) 32/2004, Pos. 386. Sobranie Zakonodatelʼstva Rossijskoj Federacii (SZRF) 7/2004, S. 47. Der Vertrag trat am 23. April 2004 in Kraft.

[15] Vidomosti Verchovnoji Rady Ukrajiny 32/2004, Pos. 387; SZRF 21/2004, Pos. 1979. Der Vertrag trat am 23.4.2004 in Kraft.

[16] Die Beschreibung in Anlage 1 unter <https://dokipedia.ru/document/5191455 >.

[17] Eine Regierungsvereinbarung vom 18.10.2011 regelte mit Anlagen den Grenzverkehr mitsamt den regulären Grenzübergängen zwischen den Verwaltungsgebieten beiderseits der Grenze. Text: <http://docs.cntd.ru/document/902331501>.

[18] Anastasija Zanuda: Stoit li Ukraine rastorgnutʼ soglašenie s Rossiej po Azovskomu morju: BBC Ukraina, 4.10.2018, <www.bbc.com/ukrainian/features-russian-45748353>.

[19] RIA-Novosti, <https://ria.ru/20120713/698745916.html>. – FAZ, 21.10.2003, S. 6. – NZZ, 23.10.2003, S. 5. – FAZ, 25.10.2003, S. 7. – NZZ, 25./26.10.2003, S. 5.

[20] Agenturmeldung vom 13.7.2005, <https://ria.ru/20050713/40904256.html>.

[21] <www.kremlin.ru/supplement/1259>.

[22] Tmutarakanskij farvater. Rossija ostavit Ukraine kerčenskij proliv. Lenta.ru, 12.7.2012, <https://lenta.ru/articles/2012/07/12/strait/>.

[23] Zum Hergang der Okkupation und der Annexion Otto Luchterhandt: Die Krim-Krise von 2014. Staats- und völkerrechtliche Aspekte, in: Osteuropa, 5–6/2014, S. 61–86. – Ders.: Der Anschluss der Krim an Russland aus völkerrechtlicher Sicht, in: Archiv des Völkerrechts, 2/2014, S. 137–174, S. 161ff.

[24] Am 17.9.2018 bestätigte Präsident Porošenko durch einen Ukaz den Vorschlag des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung, den „Freundschaftsvertrag“ zu kündigen, und teilte den Beschluss am 21.9.2018 förmlich sowohl dem Außenministerium Russlands als auch am 26.9.2018 förmlich dem Generalsekretär der Vereinten Nationen entsprechend den Regelungen der Wiener Vertragsrechtskonvention mit. <www.unian.net/politics/10366071-rada-prekratila-deystvie-dogovora-o-druzhbe-mezhdu-ukrainoy-i-rossiey.html>.

[25] V čem sutʼ dogovora s ukrainoj po Asovskomu morju. Kommersantʼʼ, 28.8.2018, <www.kommersant.ru/doc/3725996>.

[26] Evropejskaja pravda, <www.eurointegration.com.ua/rus/articles/2018/10/4/ 7087769/>, ferner Sergej Meščeriak bei „Gordon“: <https://gordonua.com/blogs/sergey-meshcheryak/pravovoy-put-resheniya-situacii-v-azovskom-more-denonsaciya-dogovora-o-sotrudnichestve-mezhdu-ukrainoy-i-rf-261394.html>.

[27] <https://nv.ua/ukraine/events/poroshenko-zajavil -ob-uhroze-rossii-v-azovskom-more-pochemu-mariupol-javljaetsja-privlekatelnym-dlja-strany -okkupanta-2482678.html>. – <www.rbc.ru/politics/10/07/2018/5b44f4829a794708577a5b3e>.

[28] <https://24tv.ua/ru/samopomich_ozvuchila_glavnye_trebovanija_k_pravitelstvu_ posle_agressii_rossii_v_azovskom_more_n1070112>.

[29] Počemu u Rossii i Ukrainy voznik konflikt v Azovskom more? RBC, 26.11.2018, <www.rbc.ru/politics/26/11/2018/5bf7dd5f9a7947b502a63ae6 >.

[30] Russland konnte an sowjetische Planungen anknüpfen. Seit den 1990er Jahren wurde die Idee mit der Ukraine auf Regierungsebene weiterverfolgt und am 17.12.2013 eine förmliche Vereinbarung über den Bau einer Verkehrsverbindung zwischen den Halbinseln Tamanʼ und Krim von den Regierungschefs beider Staaten unterzeichnet. Krimskij Most: <https://ru.wikipeia.org/wiki/%D0%9A%D1%80%D1%8B%D0%BC%D1%81%D0%BA%D0%B8%D0%B9_%D0%BC%D0%BE%D1%81%D1%82 >.

[31] Putin weiht Brücke über Straße von Kertsch ein. Der Standard, 15.5.2018, <https://derstandard.at/2000079800798/Putin-eroeffnet-Bruecke-zwischen-der-Krim-und-Russland. – Krimskij most otkryt dlja dviženija legkovogo i passažirskogo transporta, <www.gazeta.ru/auto/2018/05/16_a_11752681.shtm>.

[32] Wie restriktiv die Maße der Brücke sind, zeigt der Vergleich mit der Köhlbrandbrücke im Hamburger Hafen. Sie verfügt über eine Hauptdurchfahrt mit einer Breite von 325 m und einer Höhe von 53 m über dem mittleren Tidenhub. Da selbst diese Höhe bereits für viele Containerschiffe zu niedrig ist, plant Hamburg einen Brückenneubau mit einer Höhe von 73 m. <https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6hlbrandbr%C3%BCcke>.

[33] <www.mid.ru/en/foreign_policy/news/-/asset_publisher/cKNonkJE02Bw/content/id/3414549>.

[34] <www.rbc.ru/politics/10/07/2018/5b44f4829a794708577a5b3e>.

[35]  Zur diskriminierenden, willkürlichen und zeitraubenden Praxis: Florian Hassel: Däumchen drehen auf hoher See. Süddeutsche Zeitung, 31.1.2019, S. 7.

[36] Gerhard Gnauck: Das eingezäunte Meer. FAZ, 2.10.2018, S. 7

[37] Die rechtliche Prüfung der Maßnahmen Russlands insbesondere vom 24. bis zum 26.11.2018 beschränkt sich auf die von Russland und der Ukraine über die Nutzung des Asowschen Meeres und der Meerenge von Kertsch abgeschlossenen bilateralen Verträge. Die Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (1982) insbesondere über das Recht der friedlichen Durchfahrt im Küstenmeer (Art. 17ff.), über die der internationalen Schifffahrt dienenden Meerengen (Art. 34ff.) und die Freiheit des Verkehrs auf Hoher See (Art. 86ff.) werden nicht einbezogen. Sie werden weitgehend von den bilateralen Verträgen überlagert.

[38] Dazu mit weiteren Nachweisen Luchterhandt, Der Anschluss [Fn. 23].

[39] Nicht nur im deutschen Zivil- und Verwaltungsrecht ist „Erlaubnis“ die vorgängige, „Genehmigung“ die nachfolgende Einwilligung zu einer Maßnahme. Einwilligung ist der Oberbegriff. Das „Erlaubnisverfahren“ steht in einem Gegensatz zum „Anmeldeverfahren“, das für die Wasserstraße von Kertsch gilt und weiter unten beschrieben wird.

[40] Siehe die Inhaltsangabe der einschlägigen Mitteilung des Transportministeriums Russlands: <www.rosbalt.ru/main/2007/11/18/432284.html>.

[41] In der Sitzung des UN-Sicherheitsrates vom 26.11.2018 lehnte eine klare Mehrheit die Position Russlands ab, das eine entsprechende Resolution nur durch Einlegung seines Vetos verhindern konnte. <www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/PV.8409 &Lang=R>. Die UN-Generalversammlung verurteilte in seiner Sitzung vom 17.12.2018 Russlands Aktion in der Meerenge von Kertsch. <https://news.un.org/ru/story/2018/12/1345311>.

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