Titelbild Osteuropa 10/2013

Aus Osteuropa 10/2013
Teil des Lesepaket Literaturwissenschaft

Von der Splendid Isolation zum Mainstream
Homosexualität in der tschechischen Literatur

Martin C. Putna


Abstract in English

Abstract

Erste Spuren einer Verarbeitung homosexueller Erfahrung finden sich in der tschechischen Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit sublimieren die Autoren ihre Gefühle, verstecken sich hinter Masken und senden allenfalls verborgene Signale. Noch Otokar Březina, der wichtigste Autor des tschechischen Symbolismus, und der Expressionist und Surrealist Richard Weiner wählen diesen Weg. Einen anderen Weg beschritt erstmals Jiří Karásek ze Lvovic, der Homosexualität nicht mehr maskiert, sondern stilisiert, indem er sie in die Antike projiziert. Für den zeitgenössischen Lyriker Jiří Kuběna sind die Antike und das Mittelalter keine Kulissen mehr, die es ermöglichen, das Unaussprechliche auszusprechen. Er thematisierte, wie auch Václav Jamek, bereits zu Zeiten des kommunistischen Regimes seine Homosexualität ganz offen. Erscheinen konnte beider Werk daher erst nach 1990, als auch eine literarisch eher zweifelhafte (Selbst)Befreiungsliteratur aufblühte.

(Osteuropa 10/2013, S. 145–194)