"Russland sucht den Konflikt"

Vladimír Handl über die Beziehungen zwischen Prag und Moskau

20.4.2021

Die Aktivitäten des russländischen Militärgeheimdienstes GRU hinterlassen eine Spur der Gewalt in Europa. Der Giftanschlag auf den übergelaufenen Agenten Sergej Skripal‘ im britischen Salisbury im März 2018 und der Mord an einem Tschetschenen im Berliner Tiergarten im August 2019 sind nur die bekanntesten Fälle, für die Moskau verantwortlich sein soll. Nun hat der tschechische Verfassungsschutz bekanntgegeben, dass es sich auch bei zwei Explosionen in einem Waffendepot in Südmähren im Jahr 2014 um einen Anschlag einer GRU-Einheit gehandelt habe. Der Prager Politikwissenschaftler Vladimír Handl erläutert die Hintergründe, die Auswirkungen auf die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Prag und Moskau sowie die Folgen für die tschechische Debatte über die Russlandpolitik.

Osteuropa: Der tschechische Verfassungsschutz (BIS) hat bekanntgegeben, hinter einer Explosion in einem Munitionslager im Jahr 2014 stünde eine Sondereinheit des russländischen Militärgeheimdiensts GRU. Prag hat daraufhin 18 Mitarbeiter der russländischen Botschaft in Prag ausgewiesen. Was ist im Jahr 2014 genau geschehen?

Vladimír Handl: Am 16. Oktober 2014 explodierte in Vrbětice, einem nahe der Grenze zur Slowakei gelegenen kleinen Ort in Südmähren, ein Munitionsdepot. Dieses befand sich auf dem Gelände des staatlichen Militär-Technischen Instituts, war aber von einer privaten, im Handel mit Militärgütern tätigen Firma namens Imex Group aus dem nordmährischen Ostrava angemietet. Zwei Mitarbeiter der Firma wurden getötet, naheliegende Ortschaften evakuiert. Am 3. Dezember ereignete sich eine weitere Explosion auf dem Gelände. Getötet wurde dabei niemand, umliegende Orte jedoch erneut evakuiert. Die Löscharbeiten und die unmittelbare Sicherung der umliegenden Munitionsdepots dauerten Monate. Die Aufräumarbeiten konnten erst im Jahr 2019 beendet werden. Die Kosten werden auf um eine Milliarde Tschechische Kronen (ca. 40 Millionen Euro) geschätzt.

Osteuropa: Was genau hat der tschechische Verfassungsschutz jetzt bekanntgegeben?

Handl: Der Abschlussbericht des BIS (Bezpečnostní Informační Služba) liegt nur der Regierung vor. Alle Informationen basieren daher bislang auf Aussagen von Regierungsmitgliedern, die Zugang zu dem Bericht haben, sowie Hintergrundrecherchen. Danach ergibt sich folgendes Bild: Jene zwei Männer, die nach zuverlässigen Informationen im Jahr 2018 im britischen Salisbury den Giftanschlag auf den vom GRU (Glavnoe razvedyvatel’noe upravlenie) zum britischen Geheimdienst MI6 übergelaufenen Agenten Sergej Skripal‘ durchführten, befanden sich zum Zeitpunkt der ersten Explosion in Tschechien. Sie kamen wenige Tage zuvor per Flugzeug auf Moskau nach Prag. Sie verwendeten Pässe, die auf die Namen Aleksandr Petrov und Ruslan Baširov ausgestellt waren. Mit Pässen auf diese Namen reisten sie im Jahr 2018 nach Großbritannien. Ihre Klarnamen werden nach den Ermittlungen zu dem Novičok-Anschlag mit Anatolij Čepiga und Aleksandr Miškin angegeben. Sie sollen Mitglieder einer Sondereinheit des GRU sein, die mit der Nummer 29155 gekennzeichnet sei.

Sie hatten sich offiziell als Interessenten zu einem Besuch in dem Waffenlager angemeldet – allerdings mit Pässen, die auf die Namen Ruslan Tabarov und Nikolaj Popa ausgestellt waren. Sie wurden dort allerdings nicht als Besucher registriert. Daher wird davon ausgegangen, dass sie in das schlecht bewachte Depot eingedrungen sind, um dort die Sprengsätze an Munitionschargen anzubringen ‑ oder von einem Mitarbeiter der Firma Imex Group eingelassen wurden.

Es heißt, die Munition hätte ins Ausland geliefert werden sollen und erst dort sollte die Munition zerstört werden. Diese Annahme stützt sich unter anderem darauf, dass die zweite Explosion am 3. Dezember stattfand. Dies war wohl der geplante Zeitpunkt. Der erste Sprengsatz sei im Oktober beim Verladen der Munition vorzeitig in Vrbětice explodiert, der zweite dann nach Plan, allerdings nach dem Unglück im Oktober nicht am Bestimmungsort, sondern ebenfalls in Tschechien. Zu klären bleibt u.a., weshalb die Explosion sich ereignen konnte, obwohl das Depot kurz vorher durchgesucht worden war. Die beiden Männer reisten unmittelbar nach der Explosion über Wien nach Moskau zurück. Die tschechische Polizei hat sie jetzt zur Fahndung ausgeschrieben.

OE: Welche Art von Munition wurde in Vrbětice gelagert? Wem gehörte das Lager?

Handl: Die Angaben dazu sind unsicher. Im Depot Nr. 16, wo die erste Explosion im Oktober 2014 stattfand, sollen 50 Tonnen Artilleriesprengköpfe gelagert worden sein. Im Deport Nr. 12, wo die Explosion im Dezember 2014 stattfand, ebenfalls Artilleriesprengköpfe, anderen Angaben zufolge Maschinenpistolen.

Es heißt, die Munition und die Waffen seien von einem bulgarischen Waffenhändler namens Emilian Gebrev angekauft worden. Dieser habe sie an die ukrainische Armee liefern wollen, die im Osten des Landes seit dem Frühsommer 2014 gegen die von Russland unterstützten Separatisten kämpfte. Andere Quellen sprechen davon, die Lieferung hätte nach Syrien gehen sollen. Beides liegt nahe. Es gab zu diesem Zeitpunkt Explosionen in mehreren ukrainischen Munitionsdepots. Der bulgarische Waffenhändler wurde im Jahr 2015 zwei Mal Ziel von Giftanschlägen, die wie der Anschlag in Großbritannien mit einer Substanz der Novičok-Gruppe durchgeführt wurden und jener Sondereinheit 29155 des GRU zugeschrieben werden, die für die Explosionen in Tschechien verantwortlich gemacht wird.

OE: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung der Erkenntnisse und dem russländischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine?

Handl: Nicht unmittelbar. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Regierung entschieden hätte, die Ermittlungsergebnisse aus diesem Grund jetzt bekanntzugeben. Allerdings gibt es in der NATO und insbesondere von Seiten der USA einen nicht unerheblichen Druck, entschiedener gegen Russland vorzugehen. Man kann davon ausgehen, dass die USA über die Untersuchungen zu den Explosionen im Bilde waren. Hätte die tschechische Regierung die Erkenntnisse nicht veröffentlicht, wäre Washington ihr vielleicht zuvorgekommen.

Angeblich waren Auszüge aus dem Bericht des Verfassungsschutzes aber auch bereits tschechischen Medien bekannt. Hätte die Regierung gezögert, wäre sie unter Druck geraten. Solche Annahmen betreffen aber nur den genauen Zeitpunkt, zu dem die Regierung an die Öffentlichkeit gegangen ist, nicht den Inhalt des Berichts!

OE: Die Russlandpolitik ist seit drei Jahrzehnten ein heißes Thema in Tschechien. In welche innenpolitische Lage platzte die Nachricht von den Ergebnissen des Verfassungsschutzberichts?

Handl: Die Regierung von Andrej Babiš ist angeschlagen. Ohnehin handelt es sich um eine Minderheitsregierung, die sich auf die Stimmen von Babišs Partei ANO sowie der Sozialdemokraten von der ČSSD stützt, aber im Parlament nur eine Mehrheit hatte, weil die Kommunistische Partei KSČM sie tolerierte. Vergangene Woche hat die KSČM allerdings diese Unterstützung aufgekündigt. Der Regierung droht täglich ein Misstrauensvotum. Viele fordern vorgezogene Wahlen, allerdings wird ohnehin im Oktober ein neues Parlament gewählt. Dies macht den Ministerpräsidenten in hohem Maße vom Präsidenten abhängig. Denn dieser beauftragt nach der Verfassung eine Person mit der Bildung einer mehrheitsfähigen Regierung. Dies könnte nach einem Misstrauensvotum erneut Babiš sein. Präsident Zeman könnte eine Expertenregierung installieren, die für eine Übergangszeit ohne parlamentarische Mehrheit regiert. Dies hat er 2013 getan, und die Regierung von Jiří Rusnok blieb sieben Monate im Amt. Zurzeit erklärt Zeman jedoch, er würde nach einem Misstrauensvotum die Regierung schlicht bis zu den Wahlen im Amt lassen.

Hier kommt die Russlandpolitik ins Spiel. Präsident Zeman ist eindeutig ein Anhänger engerer Beziehungen zu Moskau. Alte Netzwerke spielen da eine große Rolle. Zeman führt das Wirtschaftsargument im Munde, aber auch Abgrenzung von der EU im Namen der nationalen Souveränität. Im Grunde soll sich Tschechien aus allen politischen Fragen raushalten, sich durchmogeln, um den größten ökonomischen Nutzen aus Kontakten zu allen Seiten zu ziehen.

Diese „unpolitische“ Position vertritt im Wesentlichen auch Babiš. Er ist aber im Unterschied zu Zeman auf parlamentarische Mehrheiten angewiesen. Sein Koalitionspartner, die ČSSD, ist gespalten. Die moskaufreundliche Fraktion hat aber die Oberhand. Die Kommunisten sind ohnehin Tschechiens Pro-Moskau-Partei. Hat Babišs ANO allerdings mit diesen beiden Parteien keine Mehrheit mehr, muss er sich nach neuen Koalitionspartnern umsehen. Die meisten Parteien, die in Frage kommen, treten aber für eine klarere Abgrenzung von Russland ein. Dies gilt für die christsoziale KDU-ČSL, für die Demokratische Bürgerpartei (ODS) und am meisten für die Piratenpartei.

In diesem Zusammenhang ist der Umgang mit den Informationen des Verfassungsschutzes zu sehen. Auf der einen Seite hat Babiš die Öffentlichkeit über den Bericht informiert und die Regierung hat 18 Mitarbeiter der russländischen Botschaft in Prag ausgewiesen. Auf der anderen Seite erklärt Babiš aber, es handele sich nicht um Staatsterrorismus, da der Angriff nicht der Tschechischen Republik, sondern einem bulgarischen Waffenhändler gegolten habe.

OE: Eine interessante Auslegung des Wortes „Staatsterrorismus“ … Wie haben sich die Beziehungen Tschechiens zu Russland in den vergangenen 2-3 Jahren entwickelt?

Handl: Es gab einen regen kulturellen Austausch, der allerdings durch die Covid-19-Pandemie seit März 2020 stark beeinträchtigt ist. Wirtschaftlich haben sich die Beziehungen gut entwickelt, jedoch auf sehr niedrigem Niveau. Der Anteil Russlands am tschechischen Außenhandel beträgt 2,5 Prozent, der Deutschlands 28,5 Prozent, der aller EU-Staaten zusammen 73,5 Prozent.

Anders sieht es mit den politischen Beziehungen aus. Zum einen trägt Tschechien die Sanktionen der EU gegen Russland – wie auch die gegen Belarus – uneingeschränkt mit. Und auf der bilateralen Ebene findet ein symbolischer Kleinkrieg statt. Viel Wirbel gab es um die Versetzung eines Denkmals für den sowjetischen Marschall Konev im 6. Prager Stadtbezirk. Dessen Truppen hatten 1945 die letzten Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz befreit und waren am 9. Mai 1945 in Prag einmarschiert. Aber er war auch von 1955 bis 1960 Oberkommandierender der Streitkräfte des „Warschauer Vertrages“ und Stellvertreter des sowjetischen Verteidigungsministers. Er trägt also unmittelbare Verantwortung für die Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956. Manche in Tschechien schreiben ihm auch eine Verantwortung bei der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 zu. Die Regierung des Prager Stadtteils ließ das im Jahr 1980 errichtete und seit langem umstrittene Denkmal im Jahr 2020 abmontieren und in ein Depot bringen. Moskau schäumte. Die Pressesprecherin des Außenministeriums Maria Zacharova sprach von einer Schmutzkampagne, die Tschechien betreibe.

Ähnlich verhielt es sich mit einer anderen causa, die die Beziehungen belastete. Der Prager Stadtrat veranlasste mit Zustimmung des Stadtparlaments zum 27. Februar 2020 die Umbenennung des Platzes, an dem die russländische Botschaft in Prag liegt, in Boris-Nemcov-Platz. Fünf Jahre zuvor war der unabhängige Politiker und Kritiker des Kreml in Moskau auf offener Straße erschossen worden. Auch in diesem Fall sah das Moskauer Außenministerium einen aggressiven Akt, eine versuchte Einmischung in innere Angelegenheiten Russlands. Damit war es aber noch nicht getan. Kurze Zeit später beantragte der Prager Bürgermeister Zdeněk Hřib Polizeischutz. Er hatte aus der russländischen Botschaft erfahren, dass Anschläge auf Personen geplant seien, die mit der Demontage des Denkmals und der Umbenennung des Platzes zu tun hatten. Bald stellte sich heraus, dass es sich um eine Intrige innerhalb der russländischen Botschaft handelte. Doch wiesen Prag und als Reaktion auch Moskau jeweils zwei Mitarbeiter der Botschaften aus.

Dies alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die tschechische Regierung sich immer wieder um einen Dialog mit Russland bemüht hat. Sie hat mehrfach in Moskau um ein Gespräch über den Stand der Beziehungen gebeten. Sogar ein Sonderbeauftragter für die Konsultationen mit Russland wurde ernannt – der Leiter des Außenpolitischen Referats des Präsidentenamtes, Rudolf Jindrák, der von 2006-2014 Botschafter in Berlin war. Moskau hat darauf nicht reagiert.

OE: Und Präsident Zeman?

Handl: Dieser spielt, wie gesagt, seine eigene Rolle. Im Fall Vrbětice ließ er über seinen Sprecher ausrichten, dass er sich erst in einer Woche äußern werde.

Zeman kritisiert die EU-Sanktionen, setzt sich für engere Beziehungen zu Russland ein, vor allem wirtschaftliche. Er plädiert ungeachtet der schlechten Erfahrungen, die die Slowakei gemacht hat, dafür, in Russland den Impfstoff Sputnik V zu kaufen. Er hat auch auf die Entlassung von Außenminister Tomáš Petříček gedrängt, der jenem Flügel der Sozialdemokraten angehört, die enge Beziehungen zu Russland – und auch zu China – kritisch sehen und der Anfang April nach einem Streit mit seinem Parteivorsitzenden, Innenminister Jan Hamáček, seinen Posten verlassen musste.

Eine spannende Frage bleibt, wer und vor allem zu welchem Zeitpunkt von den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wusste. Aus unterschiedlichen Quellen geht hervor, dass die Regierung bereits am 7. April informiert wurde. Umso mehr überrascht die Abberufung von Außenminister Petříček in dieser Situation. Sein Parteichef und kommissarischer Nachfolger im Amt des Außenministers Jan Hamáček wollte am 19. April nach Moskau reisen, um über den Kauf von Sputnik V zu verhandeln. Zwei Tage vorher gibt Babiš an einem Samstagabend die Erkenntnisse des BIS der Öffentlichkeit bekannt. Die Reise war damit natürlich geplatzt. Da Hamáček wohl von dem Anschlag in dem Munitionsdepot wusste, versuchte er jetzt, die geplante Reise als Tarnung für die folgenden Schritte der Regierung darzustellen. Aber noch einmal: Diese innenpolitischen Fragen betreffen nicht die Sache selbst. In seiner ersten Stellungnahme, mit der sich Zeman nach Veröffentlichung der ersten Erkenntnisse aus dem Bericht des Verfassungsschutzes eine Woche Zeit ließ, stellte er sich dann doch hinter die Regierung. Gleichwohl bleibt seine Position zwiespältig: Er lehnt die Vorwürfe des BIS nicht rundheraus ab, sondern erklärt, es müsse mehr ermittelt werden, es gebe noch keine Beweise. Russlands regierungsnahe Medien haben dies natürlich sofort aufgegriffen.

OE: Welche Auswirkungen hat der Vorfall auf die tschechische Russland-Politik?

Handl: Die Beziehungen haben sich in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich verschlechtert. Das Moskauer Außenministerium beschimpft Tschechien öffentlich als Lakaien der USA. Die Antwort auf die Ausweisung der 18 Botschaftsmitarbeiter war eindeutig asymmetrisch, also eine weitere Eskalation. Prag hat 18 Geheimdienstler ausgewiesen, die binnen 48 Stunden das Land verlassen mussten. Moskau hat 16 Diplomaten und vier Verwaltungsmitarbeiter ausgewiesen und ihnen nur 24 Stunden gegeben.

Die Ausweisung von 18 Geheimdienstlern hat keine ernsthaften Auswirkungen auf die riesige russländische Botschaft in Prag. Dort waren vor der Ausweisung der 18 Personen rund 130 Personen akkreditiert – 48 Diplomaten und 81 Personen in der Verwaltung sowie als technische Mitarbeiter. Zum Vergleich: Die Botschaft der USA hat 72 und die der Bundesrepublik Deutschland 26 Mitarbeiter.[1]

Die tschechische Botschaft in Moskau hat jetzt nur noch sieben Mitarbeiter. Es bleiben der Botschafter und die Konsularabteilung. Ausgewiesen wurde auch der tschechische Botschaftsrat. Auch dies eine Eskalation, denn Prag hatte den russländischen Botschaftsrat nicht ausgewiesen. Die Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen, auf den kulturellen und gesellschaftlichen Austausch, sind Moskau vollkommen egal. Russland hat nicht Konfliktmanagement, sondern Konfliktverschärfung im Sinn.

Russland sendet die Botschaft: „Wir sind stärker“, aber Prag hat entschieden, dass es sich nicht einschüchtern lässt. Der neue Außenminister Jakub Kulhánek hat Moskau mitgeteilt, dass die Zahl der Mitarbeiter an den jeweiligen Botschaften ab dem 1. Juni identisch zu sein habe. Wie genau Russland die Parität umsetzt, kann Moskau entscheiden. Ermöglicht es die Rückkehr der 20 ausgewiesenen Tschechen nicht, werden bis zum 31.5. 63 weitere Diplomaten und Mitarbeiter der Botschaft in Prag Tschechien verlassen müssen. Moskau nennt das eine „nie dagewesene Aggressivität“ und hat – ganz wie es Putin in seiner Rede vor der Föderalversammlung am 21.4. gesagt hat – mit asymmetrischen Sanktionen, also einer weiteren Verschärfung des Konflikts gedroht. Eine Möglichkeit ist, die tschechische Botschaft in Moskau zu zwingen, die Zahl der Ortskräfte stark zu reduzieren. Aber auch von Wirtschaftssanktionen ist bereits die Rede.

OE: Warum spielt das Mittel der Diplomatenausweisung eine so große Rolle?

Handl: Dies hat damit zu tun, dass der tschechische Verfassungsschutz seit vielen Jahren in seinen Berichten erklärt, die Botschaft sei eine Operationsbasis russländischer Geheimdienste – neben dem Militärgeheimdienst GRU auch des Auslandsgeheimdienstes SVR (Služba vnešnej razvedki), des Inlandsgeheimdienstes FSB (Federal’naja služba bezopasnosti) und des Föderalen Sicherheitsdienstes FSO (Federal’naja služba ochrany), die von Prag aus in ganz Ostmitteleuropa und darüber hinaus tätig seien.

Die Russlandfreunde in Tschechien werden sich gegen einen solchen Schritt sperren. Nicht nur Präsident Zeman, auch der vormalige Präsident Václav Klaus, der jetzt – ganz im Stil der Moskauer Propaganda und von dieser sofort aufgegriffen – erklärt hat, die Regierung wolle mit der Geschichte vom russischen Geheimdienst, der in Mähren sein Unwesen treibt, die Bevölkerung einschüchtern, um sie besser beherrschen zu können.

Zwei konkrete Folgen gibt es aber schon jetzt: Die Regierung hat entschieden, dass der russländische Staatskonzern Rosatom nicht zu dem Bieterverfahren für den Bau von zwei neuen Atomreaktoren am Standort Dukovany zugelassen wird. Und das Thema Sputnik V ist sicherlich vom Tisch.

Das Interview führte Volker Weichsel am 20.4.2021.

Vladimír Handl (1957), JUDr., CSc, Mitarbeiter am Institut für Internationale Studien (IMS) an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Karlsuniversität und am Peace Research Center Prague/Charles University Center of Excellence, Prag


[1] https://www.idnes.cz/zpravy/domaci/hamacek-vybuch-gru-rusko-vrbetice-diplomacie-vyhosteni.A210418_120959_domaci_klf

https://www.info.cz/zpravodajstvi/cesko/ruske-velvyslanectvi-v-praze-je-stale-pri-sile-pusobi-na-nem-nejvice-lidi-ze-vsech-ambasad