Titelbild Osteuropa 5/2009

Aus Osteuropa 5/2009

Planquadrat Osteuropa
Die Östliche Partnerschaft der EU

Eckart D. Stratenschulte

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Abstract in English

Abstract

Die Quadratur des Kreises hat einen Namen: Östliche Partnerschaft. Mit diesem Instrument versucht die Europäische Union, ihre eigenen Erwartungen an die östlichen Nachbarstaaten zu erfüllen und gleichzeitig deren Wünsche nicht zu enttäuschen. Mit der bisherigen Europäischen Nachbarschaftspolitik ist weder das eine noch das andere gelungen. Die Europäische Union sollte Moldova zum Testfall für den Erfolg der Östlichen Partnerschaft machen.

(Osteuropa 5/2009, S. 29–44)

Volltext

Die Europäische Nachbarschaftspolitik erblickte im Vorfeld der Osterweiterung der Europäischen Union das Licht der Welt. Sie sollte nicht nur die Anrainerprobleme lösen, die sich an den EU-Außengrenzen stellten, sondern auch ein Konzept entwickeln, wie es gelingen könnte, die „neuen Nachbarn“ eng an die Europäische Union zu binden. Der größeren geographischen Nähe wegen müssen die erweiterte EU und ihre neuen Nachbarstaaten gleichermaßen interessiert sein, weitere Anstrengungen zur Förderung der grenzüberschreitenden Handels- und Investitionsströme zu unternehmen, und ein noch größeres gemeinsames Interesse haben, bei der Bekämpfung länderübergreifender Bedrohungen – vom Terrorismus bis zur atmosphärischen Verschmutzung – zusammenzuarbeiten. Die Nachbarstaaten der EU sind ihre wichtigsten Partner, wenn es darum geht, auf beiden Seiten Produktion, Wirtschaftswachstum und Außenhandel zu steigern, einen erweiterten Raum politischer Stabilität und funktionierender Rechtsstaatlichkeit zu schaffen und den Austausch von Humankapital, Ideen, Wissen und Kultur zu fördern. Dabei sollte die Anbindung aber unterhalb der Mitgliedschaftsebene erfolgen. In der Mitteilung der Europäischen Kommission von 2003 ist als Zielregion von jenen Staaten die Rede, „die derzeit keine Aussicht auf Mitgliedschaft in der EU haben“. Dies wurde im Strategiepapier der Kommission von 2004 unterstrichen: Seit diese Politik auf den Weg gebracht wurde, hat die EU hervorgehoben, dass sie ein Instrument zur Stärkung der Beziehungen zwischen der EU und Partnerländern darstellt, das sich von den europäischen Ländern nach Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unterscheidet. Der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi brachte das Konzept auf die seitdem viel zitierte Formel: „Everything but institutions“. Nur diese doppelte Intention, einzubinden und abzugrenzen, rechtfertigte den neuen Politikansatz. Wäre es darum gegangen, die Partnerstaaten in die EU zu führen, und sei es auf einem sehr langen Weg, hätte mit der Präbeitrittsstrategie der EU bereits ein bewährtes Politikmodell zur Verfügung gestanden, das jetzt auf die sogenannten Westbalkan-Staaten angewendet wird. Auch die EU-Mitgliedschaft Bosnien-Hercegovinas oder Kosovos steht ja nicht unmittelbar bevor. Es ist also nicht die Dauer des Beitrittsprozesses, die die Vorbeitrittsstrategie von der Nachbarschaftspolitik unterscheidet, sondern der Prozess an sich. Die ursprüngliche Absicht der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) war es, die Verhältnisse im Osten Europas neu zu gestalten. Die Staaten der Europäischen Union, die aus geographischen, politischen oder ökonomischen Gründen stärker auf den Süden ausgerichtet sind, zeigten sich damit jedoch nicht einverstanden. Aus diesem Grund richtete sich die Europäische Nachbarschaftspolitik von Beginn an auch an die südlichen Mittelmeeranrainer. Als politische Strategie ist diese weit gespannte Nachbarschaftspolitik wenig sinnvoll, da sie sehr unterschiedliche Staaten mit sehr verschiedenen Interessen gegenüber einer Annäherung an die EU in einem Politikentwurf zusammenfasst. Und es ist umso weniger sinnvoll, als es seit 1995 den Barcelona-Prozess gibt, der sich speziell an die südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers richtet. Nach der Rosenrevolution in Georgien im Jahr 2003 wurden auch die Staaten des Südkaukasus in die Nachbarschaftspolitik einbezogen, so dass diese drei Zielregionen hat: Osteuropa – allerdings ohne Russland, das sich den ENP-Bestrebungen von Anfang an verweigerte –, den Südkaukasus und das südliche Mittelmeer. Die Europäische Union hat in zahlreichen Stellungnahmen die Überzeugung vertreten, die Nachbarschaftspolitik werde allen 16 Staaten gerecht – unabhängig von ihren Unterschieden, Konflikten oder Verbindungen. Dem Vorwurf, dass diese Politik des „One size fits all“ den Differenzen zwischen den Nachbarn nicht gerecht werde, begegneten Offizielle wie die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner mit dem Verweis auf maßgeschneiderte Aktionspläne, die die EU mit jedem Land aushandele: Ein Schlüsselelement der ENP ist ihre Differenzierung. Wir wollen nicht ein uniformes Reformmodell auferlegen, sondern mit unseren Partnern in den Aktionsplänen maßgeschneiderte Politiken und Kooperationsformen entwerfen. So funktioniert auch das Anreizsystem der ENP: Schrittweise Fortschritte entlang der einzelnen Reformziele werden von uns belohnt. MEHR AUFMERKSAMKEIT FÜR Osteuropa Einen ersten Versuch, die Europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den Partnern im Osten von jener gegenüber dem Süden zu entkoppeln, startete das deutsche Außenministerium 2006 in der Vorbereitung auf die EU-Ratspräsidentschaft. Unter dem Titel ENP Plus sollte den osteuropäischen Nachbarstaaten mehr angeboten werden als jenen im Süden. Längst hatte sich gezeigt, dass die ENP in den Mittelmeerländern keine größere Wirkung zeitigte als der Barcelona-Prozess, was im Wesentlichen an den Folgen des Nahostkonflikts und den Interessengegensätzen in der Region liegt. Aber dieser Versuch scheiterte schon im Vorfeld. Die Mittelmeeranrainer in der EU wollten eine Abkoppelung der Mittelmeer-Politik von der Osteuropa-Politik verhindern. Sie befürchteten, dass ihren Interessen, die verständlicherweise stärker mit dem Raum des südlichen Mittelmeers verbunden sind, sonst nicht genügend Rechnung getragen würde. So wurde ENP Plus kein Bestandteil des Programms zur Ratspräsidentschaft. Doch mit der Schwarzmeersynergie und der Zentralasienstrategie brachte die deutsche Präsidentschaft zwei Entwürfe auf den Weg. Ironischerweise war es die Initiative des französischen Präsidenten, eine Mittelmeerunion zu gründen, die den Weg für eine besondere Osteuropa-Politik freimachte. Die Gründe, die Nicolas Sarkozy bewogen, eine gesonderte Union vorzuschlagen, der die mediterranen Staaten der EU (einschließlich Portugals) sowie die sonstigen Mittelmeeranrainer angehören sollten, sind vielfältig und haben zum Teil mehr mit der angestrebten Verschiebung der Machtbalance innerhalb der EU als mit der Zielregion zu tun. Frankreich wäre damit in der EU der Gruppensprecher des Mittelmeerraums geworden, was seinen Einfluss vergrößert hätte. Der Vorschlag Sarkozys wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel frühzeitig abgewehrt. Die Kanzlerin wollte verhindern, dass sich mit der Mittelmeerunion eine Institution außerhalb der EU und damit der gemeinsamen Beschlussfassung entwickelt. Das Konzept Sarkozys wurde dann in einer formal gemeinsamen Initiative so verändert, dass es mit der Ursprungsidee wenig gemeinsam hatte. Am 13. Juli 2008 wurde in Paris feierlich eine „Union für das Mittelmeer“ (statt der „Mittelmeerunion“) gegründet, die mit einem eigenen Sekretariat und einer gesonderten Präsidentschaft ausgestattet sein soll, faktisch jedoch bis heute als Institution nicht existiert. Die Bombardierung des Gazastreifens durch Israel zum Jahreswechsel 2008/2009 trug dazu bei, dass das Projekt kein Momentum gewann. Sarkozy scheint das Interesse an der Union für das Mittelmeer verloren zu haben. Lediglich als er sich Anfang 2009 in Konkurrenz zur tschechischen EU-Ratspräsidentschaft als Nahostvermittler in Szene setzen wollte, besann er sich auf seine Funktion als Ko-Präsident der Mittelmeerallianz und mandatierte sich selbst. Mit seiner Mittelmeer-Initiative öffnete Sarkozy so ungewollt der spezifischen Osteuropa-Politik die Tür. ÖSTLICHE PARTNERSCHAFT Der Vorschlag zur „Östlichen Partnerschaft“ wurde von Polen und Schweden im Mai 2008 vorgelegt und in die EU eingebracht. Hintergrund der polnisch-schwedischen Initiative war die Einschätzung, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik bislang nicht erfolgreich gewesen sei. So heißt es im Fortschrittsbericht der (deutschen) EU-Ratspräsidentschaft zur ENP: Doch angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die noch vor uns liegen, müssen wir den beträchtlichen Modernisierungsschub, der von Europa ausgeht, noch wirksamer kanalisieren. Politische Instabilität und schlechte Staatsführung in unseren Nachbarländern könnten auch Auswirkungen auf die EU haben. Gleichzeitig stehen unsere Sicherheit und unser Wohlstand zunehmend unter dem Einfluss von Faktoren wie beispielsweise den Gefahren für Europas Energiesicherheit, Umweltrisiken und der wachsenden illegalen Zuwanderung. Die EU muss diese Fragen gemeinsam mit den ENP-Partnern entschlossener angehen und sich mit einem festen Kreis befreundeter Länder umgeben. Wie in solchen Berichten üblich, muss man zwischen den Zeilen lesen und die politische Berichtsrhetorik in Rechnung stellen. Deutlicher wurde das Europäische Parlament. In einer Entschließung beklagen die Abgeordneten, dass die ENP trotz der erfolgreichen Einführung von Reformagenden in mehreren Nachbarländern die Erwartung, ein verstärktes Engagement der Regierungen der ENP-Länder für politische und wirtschaftliche Reformen herbeizuführen, noch nicht gänzlich erfüllt hat, [und] dass mehr Anreize geschaffen werden müssen, um die Partner dazu zu bewegen, in ihrem Reformeifer nicht nachzulassen. Die Östliche Partnerschaft solle, so die Vorstellung aus Warschau und Stockholm, auf der ENP basieren, aber über sie hinausgehen und die bilateralen Beziehungen mit den einzelnen Partnerländern verstärken sowie zur Herausbildung „horizontaler Verbindungen“ unter den Partnerstaaten beitragen. In diesem Zusammenhang schlugen die beiden Außenministerien vor, eine weitergehende Integration der Partnerstaaten mit der EU und eine dauerhafte Struktur der multilateralen Zusammenarbeit zu entwickeln. In der bilateralen Kooperation plädierten Warschau und Stockholm für Visaerleichterungen und langfristig für die Abschaffung der Visapflicht, eine Freihandelszone, größere Unterstützung für Reformen in den Partnerländern. Sie machten sich dafür stark, den zivilgesellschaftlichen Austausch zu fördern, eine neue vertragliche Basis zu entwickeln, die über die bisherigen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen und die gegenwärtigen Aktionspläne hinausgeht und die EU-Unterstützung auf die Felder konzentrieren, in denen Fortschritte bemerkbar sind. Die Initiatoren verlangten, dass vor allem stärker zwischen den Partnerstaaten differenziert werden müsse. Sie erwarteten, dass zuerst und vor allem die Ukraine von den Maßnahmen profitieren werde und die anderen Staaten gemäß ihren Leistungen und Ambitionen folgen würden. Die multilaterale Kooperation solle vorhandene regionale Initiativen wie die Schwarzmeersynergie und die Nördliche Dimension ergänzen und sich durch konkrete Projekte entwickeln, an denen nicht jeweils alle Partnerstaaten beteiligt sein müssten. Das Angebot richtet sich an die Ukraine, die Republik Moldova, Georgien, Armenien, Aserbaidschan – und an Belarus, mit dem anfangs auf technischer und Expertenebene, also unter Umgehung des Präsidenten, zusammengearbeitet werden solle. Der Europäische Rat begrüßte im Juni 2008 die polnisch-schwedische Initiative und forderte die Europäische Kommission auf, bis zum Frühjahr 2009 konkrete Vorschläge auszuarbeiten. Diese legte die Europäische Kommission – beschleunigt durch den Krieg zwischen Russland und Georgien im August 2008 – im Dezember 2008 vor. BILATERALER ANSATZ Die Kommission folgt in der Grundausrichtung dem polnisch-schwedischen Vorschlag, verschiebt aber die Interessen deutlich zugunsten der EU. Sie bietet Assoziierungsabkommen an, mit denen „starke politische Bindungen“ an die EU und im Bereich des EU-Rechts „mehr Konvergenz“ (also Anpassung an EU-Regelungen) geschaffen werden sollten. Die Umsetzung der Assoziierungsabkommen soll auf der Basis neuer Aktionspläne erfolgen. Damit wird – anders als bisher mit den Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, die aus einer Zeit vor der ENP stammen – eine klare Regelungshierarchie geschaffen. Das bedeutet, dass die Assoziierungsabkommen die Ziele festlegen, die durch die Aktionspläne dann erreicht werden sollen. Die Europäische Kommission nennt für die Aufnahme der Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen Vorbedingungen, nämlich „Fortschritte“ in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, Wahlen nach internationalen Standards sowie die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit Europarat, OSZE (einschließlich des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte) und den Menschenrechtsagenturen der Vereinten Nationen. Wer diese reibungslose Zusammenarbeit feststellt und vor allem, was hinreichende Fortschritte auf dem Feld von Menschenrechten und Demokratie sind, bleibt offen. Im wirtschaftlichen Bereich wird bilateral eine „weitreichende und umfassende Freihandelszone“ in Aussicht gestellt, allerdings erst nach dem WTO-Beitritt der Partnerländer, den Aserbaidschan und Belarus noch nicht vollzogen haben. Dass die „möglichst weitgehende Liberalisierung“ des gesamten Handels da ihre Grenzen findet, wo Partikularinteressen in der EU berührt sind, wird aus einer Fußnote deutlich, in der es heißt: Dazu [zur Liberalisierung; EDS] soll auch die Zahl der landwirtschaftlichen Produkte, die von einer uneingeschränkten Liberalisierung ausgenommen sind, beschränkt werden. Im weiteren Text wird den Partnern die Möglichkeit eines Dialogs zur Agrarpolitik in Aussicht gestellt, „um das Verständnis der EU und der Partner für die Agrarpolitik der anderen Seite zu verbessern und auf eine Harmonisierung hinzuarbeiten“. Tatsächlich dürfte es den Partnerländern weniger am Verständnis für die EU-Agrarpolitik mangeln denn an Exportmöglichkeiten für ihre landwirtschaftlichen Güter. Die gleiche Zurückhaltung zeigt die EU beim Thema Mobilität, das für die Partnerländer von großer Bedeutung ist, wie auch die EU-Kommission anerkennt. Die EU will die „Mobilität der Bürger in denjenigen Partnerländern fördern, die die Bedingungen für eine gut verwaltete und sichere Mobilität gewährleisten können“. Dann skizziert die Kommission die Schrittfolge für mehr Mobilität der Bürger aus den Partnerländern: • Erstens sollen Gespräche über Visaerleichterungen geführt und Abkommen über die Rückübernahme von aus dem Land illegal eingereisten Menschen geschlossen werden. • Zweitens will die Kommission die Frage „nochmals prüfen, um zusätzliche Erleichterungen einzuführen“ wie beispielsweise die kostenlose Vergabe von Visa. • Drittens soll ein Plan für eine Verbesserung der konsularischen Vertretung erarbeitet werden, um Visa leichter erteilen zu können. • Viertens soll ein „offener Dialog über visafreies Reisen“ geführt werden. • Fünftens soll eine „Untersuchung zur Ermittlung der Kosten und Vorteile für die EU und die Partner“ durchgeführt werden. Die EU würde dann „je nach den Ergebnissen“ eine „zielgerichtete Öffnung des EU-Arbeitsmarktes für die Bürger der Partnerländer anstreben und Maßnahmen zur Erleichterung der zirkulären Migration ergreifen“. Freizügigkeit sieht anders aus. Im Energiebereich soll die Kooperation ausgebaut werden, um die Energieversorgungssicherheit in der EU und den Partnerländern zu verbessern. In der Regional- und Sozialpolitik sollen die Partnerstaaten unterstützt werden, um soziale Disparitäten zu verringern. MULTILATERALER RAHMEN Zusätzlich soll durch die Östliche Partnerschaft ein multilateraler Rahmen geschaffen werden, der jedoch anders als im Falle der Union für das Mittelmeer nicht außerhalb der EU entstehen soll. Die Kommission schlägt zwei Elemente für eine solche multilaterale Struktur vor: Zum einen soll es zu regelmäßigen Gipfel- und Ministertreffen kommen, zum anderen sollen vier thematische Plattformen geschaffen werden, die sich mit den Themenbereichen „Demokratie, verantwortungsvolle Regierungsführung und Stabilität“, „wirtschaftliche Integration und Konvergenz mit der EU-Politik“, „Energieversorgungssicherheit“ und „Direkte Kontakte zwischen den Menschen“ befassen sollen. Die Plattformen sollen dem Erfahrungsaustausch dienen. Die Kommission verbindet mit ihnen die Hoffnung, es könnte dort unter den Partnerstaaten zu Erfahrungsaustausch und „Peer Reviews“ kommen. Dass diese Annahme, die Östliche Partnerschaft entwickele sich zu einer Selbsthilfegruppe von Transformationsstaaten, sich erfüllt, darf allerdings bezweifelt werden, da es unter den Partnerländern nicht nur wenige Verbindungen gibt, sondern sie sich zum Teil ablehnend oder gar feindlich gegenüberstehen. Der Kommission fällt zu den Konflikten, in welche die Partnerstaaten verstrickt sind, nicht mehr ein als der Satz: Die Östliche Partnerschaft sollte die Stabilität und die multilaterale Vertrauensbildung fördern, mit dem Ziel, die Souveränität und die territoriale Integrität der Partnerländer zu festigen. Auf wirtschaftlichem Gebiet soll eine „die Nachbarschaft einbeziehende Wirtschaftsgemeinschaft“ (Neighbourhood Economic Community, NEC) entstehen, eine Art gemeinsamer Wirtschaftsraum zwischen der EU und den Partnerstaaten, der auf dem Abbau der tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse sowie einer Schnittmenge gemeinsamer Marktregeln beruht. Des Weiteren schlägt die Europäische Kommission einige Vorreiterinitiativen vor, die als Projekte – hier dem Ansatz der Union für das Mittelmeer ähnlich – durch mehrere Geberinstitutionen gefördert werden und sich mit einem Integrierten Grenzverwaltungsprogramm, der Kreditvergabe für Klein- und Mittelständische Unternehmen, der Förderung regionaler Strommärkte sowie Energieeffizienzmaßnahmen, der Entwicklung des südlichen Energiekorridors und der Katastrophenhilfe befassen sollen. Die Finanzierung der Initiativen der Östlichen Partnerschaft soll über das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschafts-Instrument (ENPI) erfolgen, das zu diesem Zweck für die Periode 2010 bis 2013 um 350 Millionen Euro aufgestockt wird. Weitere 250 Millionen Euro sollen aus bisherigen ENP-Regionalprogrammen zugunsten der Östlichen Partnerschaft umverteilt werden. Dadurch erfolgt eine Erhöhung der Mittel für die östlichen Partnerstaaten von 450 Millionen Euro im Jahr 2008 auf 785 Millionen Euro im Jahr 2013. Der Europäische Rat billigte auf seiner Frühjahrssitzung 2009 das Konzept der Kommission einschließlich der Mittelerhöhung. Dabei machte er deutlich, dass das Geld an anderer Stelle in der EU eingespart werden müsse. In vorsichtiger Formulierung nahm der Europäische Rat auch zu dem „Un-Thema“ Beitrittsperspektive Stellung: Die Arbeiten im Rahmen der Östlichen Partnerschaft werden den Erwartungen, die die einzelnen teilnehmenden Länder in ihre künftigen Beziehungen zur EU setzen, keinen Abbruch tun. Schöner kann man zu einem Thema nicht nichts sagen. FERNZIEL MITGLIEDSCHAFT? Die Europäische Union investiert einige Anstrengungen in ihre Beziehungen mit den östlichen Nachbarstaaten. Dennoch ist fraglich, ob die Östliche Partnerschaft die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen wird. Die Ausgangslage ist nicht einfach: Die Ukraine, die der wichtigste östliche Nachbar der EU ist und deren Beziehungen zur EU als Modell entwickelt werden sollten, hat in den letzten Jahren nicht an politischer und wirtschaftlicher Stabilität gewonnen. Im Gegenteil: Die politischen Kräfte des Landes blockieren sich weitgehend, und die Auseinandersetzungen nehmen gelegentlich absurde Züge an, so wenn die Abgeordneten des Parlaments das Rednerpult besetzen oder die Türen mit Möbeln verstellen, um den Präsidenten des Landes daran zu hindern, eine Rede zu halten. Moldova ist nach wie vor das ärmste Land Europas und durch den Sezessionskonflikt um Transnistrien gezeichnet. Armenien und Aserbaidschan befinden sich weiterhin im Kriegszustand. Über die Demokratiedefizite in Aserbaidschan hinweg zu sehen, die auch die regionalen Standards unterschreiten, ist der EU nur möglich, indem sie die Rolle des Landes als Energielieferant und -transitgebiet betont. Georgien ließ sich trotz EU-Anbindung nicht von dem Versuch abhalten, die das Land betreffenden Sezessionskonflikte mit Gewalt zu lösen. Die bisherigen Sanktionen der EU gegen Belarus waren nicht erfolgreich. Wegen seines gravierenden Demokratiedefizits war das Land bislang nicht in die Europäische Nachbarschaftspolitik integriert, jetzt soll es aber in die Östliche Partnerschaft einbezogen werden. Darüber, wie man mit Präsident Lukašenka als eventuellem Teilnehmer des Partnerschaftsgipfels in Prag am 7. Mai 2009 verfahren könne, haben sich viele Kommissionsbeamte den Kopf zerbrochen. Der Umgang mit Zimbabwes Diktator Mugabe musste als Referenzmodell herhalten. Die Standarderklärung, warum die osteuropäischen Staaten die Reformerwartungen nicht erfüllten, ist im Allgemeinen, dass ihnen die EU keine klare Beitrittsperspektive gebe. Nur die Aussicht auf spätere Mitgliedschaft sei ein hinreichender Anreiz, die Mühen der Transformation auf sich zu nehmen – wie ja auch das Beispiel der 2004 und 2007 beigetretenen Staaten zeige. Nach dieser Argumentation wäre jede Politik in Richtung Osten zum Scheitern verurteilt, die nicht zumindest langfristig zum Beitritt der Partnerländer führt, es sei denn, diese streben ihn ihrerseits nicht an. Damit wäre jede Nachbarschafts- und Partnerschaftspolitik überflüssig, und die Partnerländer müssten in die bestehende Vorbeitrittsstrategie der EU integriert werden. Allerdings ist der Vergleich mit den neuen Mitgliedsländern nicht schlüssig. Polen ist nicht die Ukraine und 2009 ist nicht 1999, die Unterschiede sollten in der Analyse nicht zugunsten oberflächlicher Analogien verwischt werden. In keinem der Partnerländer der ENP gibt es in dem Maße, in dem das in Polen, Ungarn, Tschechien oder Estland der Fall war, einen klaren, von der Mehrheit der Gesellschaft und der politischen Elite getragenen Willen, weitreichende Reformen in Staat und Gesellschaft durchzuführen. Der EU-Beitritt wird weniger als Ziel einer umfangreichen Transformation gesehen denn als Ersatz, der bewirken soll, dass man ohne den Weg ans Ziel gelangt. Es entsteht der Eindruck, dass das Fehlen einer Beitrittszusage demzufolge nicht als Ansporn aufgefasst wird, die eigenen Anstrengungen zu verstärken, sondern als Rechtfertigung dafür, wenig tun zu müssen. Die Erkenntnis, dass man Reformen für sich durchführt und diese in jedem Fall nötig und wichtig sind, ist in den Partnerländern sicherlich ausbaufähig. Unabhängig vom Reformstand in den ENP-Staaten ist die EU auf absehbare Zeit nicht in der Lage, weitere Mitglieder aus diesem Kreis aufzunehmen. Zwar wird es Kroatien noch gelingen, den Beitritt zu vollziehen, dann wird sich die Tür jedoch erst einmal schließen. Die EU aus 28 Partnern wird Zeit brauchen, ihr Zusammenspiel einzuüben und das für eine Fortsetzung der europäischen Integration notwendige Vertrauen auszubilden. Die Mitgliedstaaten müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sie eine weitere Schmälerung ihres relativen Einflusses bereit sind hinzunehmen. Dies wird auch dann der Fall sein, wenn es gelingt, den Lissabon-Vertrag in Kraft zu setzen. Sollte der jedoch scheitern, wird es ohnehin eine weitgehende Umstrukturierung in der EU geben, deren Konturen bislang nicht erkennbar sind. Zudem blockiert die Frage, wie mit dem EU-Kandidaten Türkei umzugehen ist, die Tür für neue Mitglieder. In der EU gibt es über ein Mitgliedsland Türkei keinen Konsens. Zwar verhandelt die EU seit 2005 mit dem Land am Bosporus, aber zum ersten Mal wird de facto nicht darüber gesprochen, wie der Beitritt vollzogen werden kann, sondern ob das überhaupt geschehen soll. Es wird jedoch schwierig sein, an der Türkei vorbei weitere Mitglieder aufzunehmen – von Norwegen, Island oder der Schweiz einmal abgesehen. Nun ist in der politischen Debatte oft zu hören, man müsse den Partnerländern die Tür zur EU offen lassen, schließlich wisse niemand, was in 20 oder 30 Jahren sei. Diese Aussage ist genauso richtig wie banal, sie falsifiziert jedoch nicht die These, dass es für die ENP-Länder keine realistische EU-Beitrittsperspektive gibt. Damit steht die „goldene Karotte“ der Mitgliedschaftsperspektive nicht zur Verfügung, und darin liegt gerade der Wert der ENP und auch der Östlichen Partnerschaft. Ihre Aufgabe ist es nämlich, eine enge Anbindung unterhalb der Mitgliedschaftsschwelle zu schaffen. CHANCEN UND VORAUSSETZUNGEN DER ÖSTLICHEN PARTNERSCHAFT Damit die Östliche Partnerschaft ein Erfolg wird, sind einige Voraussetzungen erforderlich. Die Differenzierung der Ansätze gegenüber dem Osten Europas und dem südlichen Mittelmeer ist von zentraler Bedeutung. Dennoch bestehen einige Zweifel, ob der Östlichen Partnerschaft gelingen wird, was die ENP bislang verfehlt hat. Die Initiativen der Östlichen Partnerschaft werden nur erfolgreich sein können, wenn die Partnerstaaten diese Politik auch zu ihrer eigenen machen. Allerdings binden sie ihr Engagement bislang nach wie vor an eine Beitrittszusage und sind von allen Angeboten unterhalb dieser Ebene enttäuscht. So hat das ukrainische Außenministerium zur Östlichen Partnerschaft verlauten lassen: Wir sind der Auffassung, dass die Initiative der „Östlichen Partnerschaft“ eine klare Mitgliedschaftsperspektive für die europäischen Nachbarn der EU vorsehen sollte, die die Ernsthaftigkeit ihrer europäischen Ambitionen durch konkrete Aktionen und messbare Erfolge unter Beweis stellen. Die derzeit in der EU diskutierten Initiativen sollten zudem weitere Maßnahmen und adäquate Instrumente vorsehen, mit denen die bestehenden bilateralen Kooperationsbeziehungen gestärkt und der Fortschritt der Ukraine auf dem Weg in die EU-Integration unterstützt werden können. Die Europäische Union reagiert auf diese Ansprüche verhalten: Die EU anerkennt die europäischen Bestrebungen der Ukraine und begrüßt deren Entscheidung für Europa. Die Reaktion der EU darauf, diese Perspektive mit vagen Formulierungen in Aussicht zu stellen, ohne sie tatsächlich realisieren zu können und zu wollen, wird dieses Pro¬blem jedoch nicht lösen. Im Gegenteil: Nur eine klare Aussage, dass die Östliche Partnerschaft nicht die Alternative zur Mitgliedschaft, sondern zu normalen EU-Drittstaatenbeziehungen ist, wird es den Partnerstaaten ermöglichen, sich auf die Politik der EU wirklich einzulassen. Solange in Kiew oder anderswo der Eindruck entstehen kann, durch Zurückhaltung und Blockade könne man noch mehr herausholen, wird es kein wirkliches Engagement von Seiten der Partnerstaaten und mithin auch kein Erfolg von ENP und/oder Östlicher Partnerschaft geben. REGIONALE KONFLIKTE Das zweite Defizit der Östlichen Partnerschaft ist, dass sie den regionalen Konflikten keine Aufmerksamkeit schenkt. Die Verantwortlichen scheinen sich der stillen Hoffnung hinzugeben, die Konflikte würden irgendwie von selbst verschwinden, wenn die Kooperation nur in Gang käme. Tatsächlich ist es jedoch umgekehrt: Die Zusammenarbeit in der Zielregion wird durch die Konflikte blockiert und der EU-Initiative damit der Boden entzogen. Die Perspektive einer von der EU forcierten regionalen Freihandelszone ist bei dem geringen Handelsvolumen – und des Angebots – untereinander nicht verlockend genug, die Differenzen beizulegen. Armenien und Aserbaidschan weigern sich sogar, Fußballspiele gegeneinander auszutragen, und nehmen lieber null Punkte in Kauf, wie es bei der Qualifikation zur Europameisterschaft 2008 geschah. Es ist aber nicht nur der armenisch-aserbaidschanische Konflikt um Berg-Karabach, der die Region paralysiert. Hinzu kommen der Streit zwischen Armenien und der Türkei um die Bewertung des Völkermords 1915, die Auseinandersetzungen zwischen Georgien und Russland um Abchasien und Südossetien und die Auseinandersetzung zwischen Moldova und dem separatistischen Transnistrien mit Russland im Hintergrund. Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, der sich bislang vor allem an Fragen der Energielieferungen und des Gastransits entzündet hat, könnte auch auf der Krim eskalieren. Diese Konflikte behindern die Partnerländer in zentraler Art und Weise und machen gleichzeitig eine konsequente Reformpolitik unmöglich, einerseits weil sie zu viele Kräfte binden, andererseits weil sie der jeweils herrschenden Elite einen Vorwand bieten, sich innenpolitisch nicht bewegen zu müssen. Wenn die Europäische Union ihre Östliche Partnerschaft zu einem Erfolg machen will, wird sie nicht umhin kommen, der Regulation regionaler Konflikte mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Geschichte zeigt, dass es auf Dauer nicht gelingt, abtrünnige Gebiete im eigenen Territorium zu halten, wenn die dortige Bevölkerung die Zugehörigkeit nicht unterstützt. Der beste Schutz der eigenen territorialen Integrität ist daher ein attraktives Staatswesen mit einer prosperierenden Gesellschaft. Warum sollte es die Menschen in Transnistrien zu Moldova ziehen, wenn dessen Bürger das Land in Scharen verlassen? Der vom Europäischen Rat im März 2009 noch einmal bekräftigte Grundsatz, dass die Verbesserungen für die Menschen spürbar sein müssten, ist der Schlüssel zum Erfolg. RUSSLAND Man kann Russland bei der Ausgestaltung der Östlichen Partnerschaft kein Mitspracherecht gewähren. Aber es ist eine Illusion anzunehmen, man könnte die Östliche Partnerschaft zum Erfolg führen, wenn man den „russischen Faktor“ ignoriert. Dies ist auch bei dem jüngsten EU-Ukraine-Treffen zur Modernisierung der Energieinfrastruktur in der Ukraine deutlich geworden. Der Gastransit durch die Ukraine kann nur funktionieren, wenn das Gas auch eingespeist wird, und zwar von Russland – worauf dieses in gewohnt drastischer Art hingewiesen hat. Nicht nur, dass der russländische Energieminister den Saal vor der Unterzeichnung des Abkommens verließ, Russland stornierte auch die anstehenden Energiegespräche mit der Ukraine. Es reicht daher nicht aus zu sagen, neben der Östlichen Partnerschaft die „strategische Partnerschaft“ mit Russland weiterführen zu wollen. Beide Initiativen müssen verzahnt werden. Die Konflikte in Osteuropa und im Südkaukasus sind ohne Russland nicht lösbar – leider zur Zeit auch nicht mit Russland. Hier wird es verstärkter Anstrengungen und klarer Prioritäten der Europäischen Union bedürfen, um auf Russland einzuwirken. ERFOLGSMODELL Die Europäische Nachbarschaftspolitik und die Östliche Partnerschaft brauchen dringend eine Erfolgsgeschichte. Nach den Planungen der letzten Jahre soll die in der Ukraine geschrieben werden, was sich aus der überragenden Bedeutung dieses Landes für die Entwicklung in Osteuropa leicht erklären lässt. Auch weiterhin wird die EU der Ukraine große Aufmerksamkeit schenken müssen, der Weg hierzu ist beim letzten EU-Ukraine-Gipfel vorgezeichnet worden. Zum Erfolgsmodell taugt die Ukraine allerdings nicht. Die Zerrissenheit des großen Landes, die endemische Korruption und eine weitgehend funktionsunfähige politische Elite bremsen fundamental den politischen und wirtschaftlichen Fortschritt. Auch bei der Hoffnung, nach den nächsten Präsidentenwahlen werde der Stillstand überwunden, ist der Wunsch Vater des Gedankens. Es ist überhaupt nicht abzusehen, dass die Präsidentenwahlen ein Ergebnis zeitigen werden, das die politischen Gräben in der Ukraine zuschüttet. Zwar wird der amtierende Präsident Viktor Juščenko ausscheiden, aber da dieser kaum noch über politische Unterstützung verfügt, wird dies nicht zu einer Veränderung des Kräfteverhältnisses führen und die Blockade beenden, durch die Politik und Gesellschaft in der Ukraine in den vergangenen Monaten geprägt sind. Von daher sollte die EU überlegen, ob sie nicht Moldova zum Testfall ihrer Politik macht. Zwar ist auch dieses Land nicht arm an Problemen, und seine Regierung ist sicherlich nicht der Wunschpartner Brüssels, aber immerhin ist das Land überschaubar groß bzw. klein. Es hat, je nachdem, ob man Transnistrien mitrechnet oder nicht, 3,4 bzw. 4,2 Millionen Einwohner – wenn das noch die aktuelle Zahl ist. Hier könnten die beschränkten Mittel der EU tatsächlich Wirkung entfalten. Der Wein und die Nüsse aus Moldova werden den europäischen Agrarmarkt nicht zum Erliegen bringen. Wenn es gelänge, Moldova aus dem Status des Ärmsten der Armen herauszuführen, seine auch durch die politische Geographie bedingte Isolation aufzuheben und den Transnistrien-Konflikt, bei dem es sich nicht um eine ethnische Auseinandersetzung handelt, durch friedliche Angebote zu überwinden, hätte die EU ein Leuchtturmprojekt geschaffen. Auch die Aufhebung des Visumszwangs ließe sich mit Moldova leichter durchführen und gegenüber den Innenpolitikern in der EU durchsetzen. Ein erheblicher Teil der Bürgerinnen und Bürger Moldovas reist jetzt schon frei, wenn auch mit einem rumänischen Pass. Mit der Visumfreiheit wäre das moldauische Reisedokument zudem interessanter als das russländische, womit Moskaus Strategie, die eigenen Pässe großzügig anzubieten, ins Leere liefe. GEBEN UND NEHMEN: DIE POLITIK DER KONDITIONALISIERUNG Die Politik der EU beruht auf zwei Ansätzen, nämlich der Konditionalisierung und der Europäisierung. Konditionalisierung heißt, dem Partnerstaat einen Anreiz zu geben, eine Reform durchzuführen. Europäisierung meint in diesem Zusammenhang, in der politischen Elite und der Bevölkerung des Partnerstaates die Einsicht reifen zu lassen, dass die Reformen notwendig (und unabhängig von externen Anreizen durchzuführen) sind. Europäisierung, also das Setzen auf den subjektiven Faktor, ist ein langfristiges Projekt und bedingt Begegnung und Austausch. Sie wird durch den Visumzwang nicht eben gefördert. Die Konditionalisierung wirkt kurzfristiger (und nimmt damit natürlich auch Einfluss auf die subjektive Ebene). Sie benötigt für ihren Erfolg die Beachtung einiger Regeln, die Schimmelfennig und Sedelmeier klar herausgearbeitet haben: 1. Die Anforderungen an das Partnerland müssen klar und evaluierbar sein. Nur wenn die Partner wissen, was sie tun müssen, um die „Belohnung“ zu erhalten, können sie sich entsprechend verhalten. 2. Die Belohnung muss die Transaktionskosten übersteigen. Je größer die Anforderung, desto größer muss der zu setzende Anreiz sein. Dabei sind auch die Widerstände im Partnerland (die „veto player“ und ihr Einfluss) zu berücksichtigen. 3. Das Versprechen auf Belohnung muss glaubhaft sein. 4. Die Belohnung muss zeitnah ausgereicht werden. Zwar zeigen verschiedene Studien, dass die EU-Mitgliedschaftsperspektive der stärkste und wirkungsvollste Transformationsanreiz ist, der Partnerstaaten in Ost- und Südosteuropa gegeben werden kann. Dieser verblasst jedoch in dem Augenblick, in dem er realistischerweise nicht in Aussicht gestellt werden kann. Es hat daher politisch wenig Sinn, ungeachtet der Situation von Seiten einiger EU-Staaten oder auch der Partnerländer darauf zu beharren. Viel wichtiger ist in dem gegebenen Kontext, eine wirkungsvolle Konditionierungspolitik zu entwickeln, die den oben skizzierten Bedingungen genügt. Am Beispiel der Republik Moldau könnte die Europäische Union eine neue Strategie einüben, die über Erfolg und Misserfolg der gesamten Politik in Richtung Osten entscheiden wird: Weniger versprechen, mehr halten! Eckart D. Stratenschulte (1952), Dr. phil., Politikwissenschaftler, Leiter der Europäischen Akademie, Berlin Von Eckart Stratenschulte erschien zuletzt in Osteuropa: Europa bilden. Politische Bildung in und für (Ost-)Europa, in: Europa bilden. Politische Bildung zwischen Ost und West [= Osteuropa, 8/2005], S. 49–58. – Ukraine: „Und jetzt: action!“ Die Aktionspläne der Europäischen Nachbarschaftspolitik, in: Osteuropa, 2/2005, S. 15–23. – Das Brüsseler Illusionstheater – zu Gast in Osteuropa, in: Osteuropa, 6/2003, S. 764–776.

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