Titelbild Osteuropa 12/2005

Aus Osteuropa 12/2005

„Politische Einstellung: Jude“
Wolfgang Johannes Leppmann (1902–1943)

Ray Brandon

Volltext als Datei (PDF, 2.415 kB)


Abstract in English

Abstract

In der Weimarer Republik war Berlin Zentrum der Osteuropaforschung. Zum wissenschaftlichen Nachwuchs zählte Wolfgang Leppmann. Der Slawist und Historiker, Doktorand von Otto Hoetzsch, arbeitete bei der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas und publizierte mehrfach in Osteuropa. Von 1931 bis 1934 unterstützte er Hoetzsch als wissenschaftlicher Assistent bei der Herausgabe der Quellenedition Die internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme geriet Leppmann, der sich selbst nicht als Jude betrachtete, dem Regime aber als solcher galt, ins Visier der NS-Rassenpolitik. Dem größten Teil von Leppmanns Familie und seinen Kollegen gelang die Flucht. Er selbst konnte sich nicht dazu entschließen. Als er deportiert werden sollte, tauchte er unter, wurde aber bald darauf entdeckt. Wolfgang Leppmann starb 1943 in Auschwitz.

(Osteuropa 12/2005, S. 87–100)

Volltext

Die Suche galt eigentlich einem anderen. Ein vermutlich falscher Polizist sollte bei dem Einsatz vom 9. Dezember 1942 in der Mühlenstraße 42 in Berlin-Friedrichshain aufgespürt werden. Diesen Mann haben die Kripo-Beamten offenbar verfehlt, dennoch war der Abend nach den damaligen Verhältnissen nicht umsonst. Zwei Juden in der Illegalität – der Slawist Wolfgang Leppmann und ein junger Mann namens Max Gottheiner – gingen den Beamten ins Netz, zusammen mit Gertrud „Daisy“ Grochowski, der Frau, die ihnen Unterschlupf gewährt hatte. * * * Wolfgang Johannes Leppmann wurde am 22. Oktober 1902 als Sohn des Gerichtsmediziners und Gefängnisarztes Friedrich Leppmann (1872–1952) in Berlin geboren. Wie sein Name – und die seiner Geschwister Joachim, Ulrich und Andrea – vermuten läßt, wuchs er in einem stark assimilierten Haushalt auf. Er wurde evangelisch getauft; der berühmte Leipziger Wirtschafts- und Sozialhistoriker Alfred Doren war sein Patenonkel. Hervorgegangen aus einer Bäckerfamilie im oberschlesischen Peiskretscham (heute Pyskowice in Polen) mit den Gebrüdern Hermann (1820–1899) und Salomon, hatten die Leppmanns mit Bildung und Intelligenz ihren Weg in die akademisch-bürgerliche Gesellschaft Berlins gemacht und einige berühmte Köpfe hervorgebracht. Salomons Enkel Franz (1877–1948) war in der Weimarer Republik ein einflußreicher Journalist und Autor, außerdem Lektor erst im Ullstein Verlag, dann leitender Lektor bei Propyläen. Hermanns Sohn Friedrich hatte eine medizinische Laufbahn eingeschlagen, genau wie sein älterer Bruder Arthur (1854–1921). Dieser, Geheimer Medizinischer Rat und Nervenarzt, arbeitete gelegentlich auch mit dem Chemiker, Serologen und Nobelpreisträger Paul Ehrlich zusammen. Der Sohn von Franz, wie sein Patenonkel – wenn auch nicht nach ihm – Wolfgang (1922–2003) genannt, sollte sich später in den Vereinigten Staaten als Literaturwissenschaftler einen Namen machen. Wolfgang Johannes Leppmann besuchte zuerst das Kaiserin-Augusta-Gymnasium und dann das humanistische Mommsen-Gymnasium zu Charlottenburg, wo er im September 1922 Abitur machte. Sein besonderes Interesse für die Slawistik, das auch sein späteres berufliches Leben prägen sollte, scheint schon früh durch eine Verwandte geweckt worden zu sein. Eine Cousine seiner Mutter aus Kazan’ kam die Familie jeden Sommer zusammen mit ihrem Mann besuchen und beeindruckte Wolfgang offenbar tief. Jedenfalls erwischte man ihn schon in der Tertia dabei, lieber in einer russischen Grammatik zu lesen als seine Hausaufgaben zu machen. Die Literatur, seine zweite Leidenschaft, scheint zu Hause ebenfalls eine große Rolle gespielt zu haben. Sein Aufwachsen während des Ersten Weltkrieges und der Oktoberrevolution weckte sein Interesse an der Zeitgeschichte. Wolfgang immatrikulierte sich zunächst an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin in den Fächern Geschichte, Slawistik und Philosophie. Nach dem ersten Semester ging er für ein Jahr nach Göttingen, dann für ein weiteres Semester nach Wien. Es folgten anderthalb Jahre in Prag an der deutschen und an der tschechischen Universität. Die Sprache dürfte dabei kein Problem gewesen sein: Er sprach neben Russisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Polnisch und Serbisch auch Tschechisch. Dennoch entschied er sich 1926, vielleicht aus finanziellen Gründen, seine Studien in Berlin am Seminar für Osteuropäische Geschichte in der Dorotheenstraße abzuschließen. Ein solch „protrahiertes Studium“ war damals auch für wohlsituierte bürgerliche Kreise keineswegs der Normalfall. Leppmann hörte bei Karl Brandi, Alexander Brückner, Eduard Hermann, Otto Hoetzsch, Nikolaj Fürst Trubeckoj, Hans Uebersberger und Max Vasmer. Wer seine Kommilitonen waren, wissen wir leider nicht. Das ist um so bedauerlicher, als gerade diese Generation sich seit Ende der 1920er als besonders anfällig für die Avancen des Sicherheitsdienstes der SS erweisen sollte. Neben möglichen finanziellen und familiären Erwägungen gab es auch gute akademische Gründe für eine Rückkehr nach Berlin. Dank der hohen Zahl von Emigranten aus Rußland und der sich stetig verbessernden Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion war die Stadt zum international anerkannten Zentrum der Osteuropaforschung aufgestiegen. Anlaufstelle für alle, die sich für osteuropäische Angelegenheiten interessierten, war die Deutsche Gesellschaft für das Studium Osteuropas unter Führung des Berliner Universitätsprofessors und Reichstagsabgeordneten der Deutsch-Nationalen Volkspartei Otto Hoetzsch. Neben seinen Studien und der Vorbereitung auf die Promotion unternahm Leppmann in Berlin erste publizistische Versuche. Im April 1928 erschien in der Zeitschrift Osteuropa, die damals von seinem Doktorvater Hoetzsch herausgegeben wurde, sein Aufsatz über das polnisch-tschechische Grenzproblem. 1929/30 folgten Artikel über die Entwicklung der Literaturgruppen in der Sowjetunion und den Schriftsteller Boris Pil’njak. Für seine Übersetzung von Georgij V. Vernadskijs Gosudarstvennaja gramota Rossijskoj Imperii 1820g. (Die staatliche Gerichtsverfassung des Rußländischen Reiches von 1820) konnte kein Verlag gefunden werden. Laut seinen Promotionsunterlagen scheint Leppmann nicht gerade ein Musterstudent, aber engagiert und energisch gewesen zu sein. Seine Dissertation mit dem Titel Nikolai Stankevic und sein Kreis. Studien zur Moskauer Literaturbewegung 1830–1840 reichte er am 24. Juni 1929 ein, die mündliche Prüfung folgte am 20. Februar 1930. Allerdings gab Leppmann die Dissertation nie zum Druck frei. Er fürchtete, seine Thesen seien bereits überholt. Ob sie wirklich nicht mehr aktuell waren, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Arbeit ist verschollen. Es sollte jedoch dreißig Jahre dauern, bis das Thema – unter fast identischem Titel – in der westlichen Forschung wieder aufgegriffen wurde. Leppmann und Hoetzsch Menschen, die Leppmann kannten, beschrieben ihn als treu, zuverlässig, charmant und humorvoll. Er zeichnete gut genug, um mittelalterliche Drucke zu kopieren, und zu feierlichen Anlässen amüsierte er die Festgesellschaft mit eigens verfaßten Gedichten. Außerdem besaß er die seltene Gabe, auch Nichtakademiker für seine speziellen Interessen zu begeistern. Dennoch schildert ihn sein Bruder Joachim eher als „Einzelgänger, fast möchte man sagen: Sonderling“. „Unbestimmtheit und Unentschlossenheit“ hätten Wolfgang lebenslang begleitet. Joachim machte dafür „eine Mischung von mangelndem Selbstvertrauen und übertriebener Gewissenhaftigkeit“ verantwortlich. Sein Privatleben schützte Wolfgang jedenfalls tatsächlich gewissenhaft. Seine Beziehung zu Charlotte Schick, einer Bediensteten seiner Eltern, hielt Leppmann vor der Familie geheim. Am 28. Mai 1931 bekam das Paar einen Sohn, Klaus Peter. Da Leppmann als wissenschaftlicher Assistent nur wenig Geld verdiente und gut bezahlte Stellen während der Weltwirtschaftskrise kaum zu finden waren, kam eine Heirat für ihn nicht in Frage. Er zahlte jedoch für den Unterhalt des Jungen. Die Familie erfuhr von Peter erst nach dem Krieg. Ebenfalls 1931 nahm Leppmann einige der bedeutendsten Aufgaben seiner kurzen Karriere in Angriff. Anstelle der Literatur rückte nun die Zeitgeschichte immer stärker ins Zentrum seines Interesses. Zwar verfaßte er als „reger Mitarbeiter“ weiterhin Aufsätze über literarische Themen für Osteuropa und legte am Seminar für Orientalische Sprachen an der Berliner Universität das Dolmetscherexamen für Russisch ab. Gleichzeitig begann er auch in der Zeitschrift für Osteuropäische Geschichte zu publizieren, unter anderem einen Überblick über die russische Geschichtswissenschaft in der Emigration. Am wichtigsten jedoch war die Zusammenarbeit mit Otto Hoetzsch, die er fortsetzte und ausbaute. Im Juni 1930 hatte Hoetzsch sich in Moskau vertraglich verpflichtet, eine sowjetische Quellensammlung über die Ursprünge des Ersten Weltkrieges auf deutsch herauszubringen. Die Sowjets wollten damit die zentrale Rolle des Zarenstaates beim Ausbruch des Krieges propagieren; die Deutschen versprachen sich von der Reihe eine nachsichtigere Beurteilung der deutschen Kriegsschuld. Hoetzsch wiederum war es außerdem wichtig, die Freundschaft mit der Sowjetunion zu vertiefen, und sei es auch nur symbolisch. Für die Redaktion der Reihe stellte er seinen ehemaligen Doktoranden Wolfgang Leppmann an. Von 1931 bis 1934 erschienen die fünf Bände der ersten deutschen Reihe unter dem Titel Die internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus. In jedem der fünf Bände würdigte Hoetzsch Leppmanns Beitrag zu dieser Edition. Dieser habe sich dem Projekt mit einer „unermüdlichen Hingabe“ gewidmet, Hoetzsch mit „kritischem Urteil“ zur Seite gestanden und die Durcharbeitung, Revision und Korrektur der Aktentexte mit „größtem Fleiß“ erledigt. Zur selben Zeit beteiligte Leppmann sich maßgeblich an einer Arbeitsgemeinschaft der Slawisten an der Berliner Universität. Zumindest teilweise ging aus dieser Gruppe eine von der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT ZUM STUDIUM OsteuropaS (DGSO) herausgegebene Bibliographie, Die Sovet-Union 1917–1932, hervor, für die Leppmann Einträge über „Lenin“, „Prosa“ und „Nachschlagewerke“ zusammenstellte und kommentierte. Außerdem stand er der DGSO als Sachverständiger für Südostfragen zur Verfügung. Auch als Redner trat er in Erscheinung, vor allem im Dezember 1932, als er im Rahmen einer wochenlangen Ausstellung zum Thema Belletristik in der Sowjetunion täglich zusammen mit dem russischen Emigranten und Dichter Michael Gorlin Vorträge gehalten haben soll, wie Hoetzsch lobend erwähnt. Zeit für eigene Publikationen blieb ihm dabei nicht. Marginalisiert, stigmatisiert, deportiert Schon bald nach der Machtergreifung der NSDAP wurde Leppmann aus der DGSO herausgedrängt. Offiziell wurde seine Entlassung im Sommer 1933 mit den „neuen Bestimmungen des Beamtenrechts“ – des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 – begründet. Ab Mai galt der „Arierparagraph“ auch für jüdische Privatdozenten. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte sich schnell vollziehen sollen. Hoetzsch ermöglichte jedoch Leppmanns Weiterbeschäftigung, bis die erste Reihe der Internationalen Beziehungen Ende 1933 abgeschlossen war. Hoetzsch selbst verlor seinen Posten an der Universität im Mai 1935; für die Nationalsozialisten galt er als „Salonbolschewist“. Leppmann gelang es zunächst, beim Zentralinstitut für die Erforschung der Kriegsursachen und dessen Zeitschrift Berliner Monatshefte unterzukommen. Er fungierte dort als Sachverständiger für osteuropäische Fragen und publizierte einige längere Artikel über die polnische und tschechische Nationalbewegung vor dem Ersten Weltkrieg. Mit der Zeit jedoch wurden seine Aufsätze spärlicher, seine letzten beiden Beiträge für die Monatshefte erschienen Ende 1937 anonym. Weder Leppmanns Arbeit an der Reihe Die internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus noch seine Verbindung zum Zentralinstitut für die Erforschung der Kriegsursachen sollten als revanchistische Neigungen Leppmanns mißverstanden werden. Er neigte eher zur politischen Linken, ohne sich auf eine Partei festzulegen. Als „eine Art ‚Verkehrsgast‘“ nahm er jedoch wiederholt an den Treffen des Leuchtenburgkreises teil, der aus der Jugend der Deutschen Demokratischen Partei hervorging. Angesichts der judenfeindlichen Politik und wachsender Bedrohungen im nationalsozialistischen Deutschland verließen immer mehr Angehörige Leppmanns ab 1934 das Land. Über verschiedene Stationen – von Iran über Italien und Schweden – gelangten Leppmanns Geschwister – mit Ausnahme des ältesten Bruders – und seine Eltern in die USA. Wolfgang Leppmann und Charlotte Schick ließen ihren gemeinsamen Sohn Mitte der 1930er Jahren in die Schweiz bringen. Sie blieben in Deutschland. Bei Wolfgang scheint eine Mischung aus Unterschätzung der sich entwickelnden Gefahr und purer Neugier für diesen Entschluß eine Rolle gespielt zu haben. Einerseits wird ihm nachgesagt, er habe geglaubt, seine für den Staat nützlichen Kenntnisse würden ihn vor Verfolgung schützen; andererseits wollte er offenbar „die Weiterentwicklung der Hitlerrevolution als Historiker mit eigenen Augen ansehen“. Dagegen verließen Kollegen wie Leo Loewenson, Raisa Bloch und Michail Gorlin, die ebenfalls im Umfeld von Otto Hoetzsch und der Zeitschrift Osteuropa gearbeitet hatten, das Land. Ein dritter Grund mag in seiner Vertrautheit mit der russischen Emigration zu suchen sein. Viele seiner Kollegen in Berlin und an der Universität stammten aus Rußland. Er kannte ihr Leben außerhalb oder am Rande der Welt, aus der sie gekommen waren. Dieses Leben hatte Leppmann so beeindruckt, daß er sich sogar in einem großen Artikel damit beschäftige. Er wußte daher oder meinte zumindest zu wissen, was ihm bevorstand, wenn er seine Existenz in der Heimat, so schwierig sie sein mochte, aufgab. Die drohende Enge eines Lebens im Exil, unter Umständen mißtrauisch beobachtet von den Angehörigen der ihm Aufnahme gewährenden Gesellschaft, schreckte ihn womöglich ab. Im Januar 1936 wurde ihm der Doktortitel auf formalem Wege entzogen. Die Universität nutzte sein Zögern, die Dissertation zu publizieren, um das laufende Promotionsverfahren für beendet zu erklären. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schlug Leppmann sich als Übersetzer und Privatdozent durch. Danach wurde er in der Kriegswirtschaft eingesetzt, 1940 bei einer Tiefbaufirma, wo er Zementsäcke trug, im Jahr darauf schaufelte er Kohle bei den Berliner Elektrizitäts-Werken. Zwei weitere Familienmitglieder Leppmanns waren mit Wolfgang in Berlin geblieben, ein Onkel namens Wilhelm und ein Cousin, Josef Stern. Beide wurden deportiert. Wilhelm starb am 24. November 1942 in Theresienstadt. Josef Stern ist 1943 in Auschwitz verschollen. Im November 1942 erhielt auch Wolfgang die Aufforderung zur „Evakuierung“. Nach Rücksprache mit Charlotte Schick entschied er sich fürs Untertauchen. Seine ehemalige Freundin, die Wolfgang in dieser Zeit zur Seite stand, wandte sich ihrerseits an eine Freundin, Daisy Grochowski. Diese lehnte zuerst ab, weil sie bereits Max Gottheiner versteckte, änderte dann jedoch überraschend ihre Meinung. Leppmann trennte „seinen“ gelben Stern von der Jacke und verließ seine Wohnung in der Küstrinerstraße in Charlottenburg. Die Nächte verbrachte er in Grochowskis Wohnung in der Mühlenstraße in Berlin-Friedrichshain. Mittags ging er aus dem Haus und kam erst spät abends wieder. Die fragile Situation dauerte keinen Monat. Als Leppmann am Abend des 9. Dezember zu seiner Unterkunft zurückkehrte, bemerkte er die zwei Männer im Hausflur zu spät. Vielleicht zuckte er. Möglicherweise verriet sein Blick die Angst. Jedenfalls zog er ihre Aufmerksamkeit auf sich. Kaum hatte er Grochowskis Wohnungstür hinter sich geschlossen, klingelte es. Verunsichert zögerte Leppmann, bevor er Grochowski weckte, was den Verdacht der Kripo-Beamten nur erhärtete. Leppmann und Gottheiner flogen auf. Zusammen mit Daisy Grochowski wurden sie festgenommen. Wäre Leppmann nicht Leppmann gewesen, hätte die Verhaftung im Versteck zu einer Zeit, als die NS-Vernichtungsmaschinerie bereits lief, unweigerlich die Überführung an die Staatspolizei und Deportation ins Lager nach sich gezogen. In der Tat verliert sich Gottheiners Spur unmittelbar nach der Verhaftung. Da Leppmann jedoch von der Kripo festgenommen wurde, wird vermutet, daß er auf Umwegen ins Zellengefängnis Moabit eingeliefert wurde – dort, wo sein Vater lange Jahre als Gefängnisarzt gearbeitet hatte. Die Wärter, heißt es, hätten auf Wolfgang aufgepaßt. Um ihn von der Staatspolizei zu schützen, sei, so Leppmanns Familie, eine „fiktive Verdächtigung“ erhoben worden. In den Gerichtsakten findet man es genauer: Im Januar 1943 wurde Leppmann wegen seiner Beziehung zu Charlotte Schick der Prozeß gemacht – und blieb damit, ungewöhnlich zu diesem Zeitpunkt, vorerst im Zugriffsbereich der Justiz. Leppmann wurde wegen „Rassenschande“ zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt und in das „normale“ Gefangenenlager Rollwald im hessischen Nieder-Roden gebracht. Das hätte ihn retten können. Der dortige Kommandant stellte allerdings sofort fest, daß er es mit einem „Volljuden“ zu tun hatte, der laut Vollstreckungsplan nicht in dieses Lager gehörte. Er verlegte ihn am 6. Mai 1943 ins Stapogefängnis nach Darmstadt. Von dort aus wurde Leppmann auf Antrag der Stapostelle Berlin bei der Generalstaatsanwaltschaft in die Reichshauptstadt zurückgeschickt. Nach der Überweisung an die Gestapo wurde eine Schutzhaft-Karteikarte angelegt für den „Studenten der Philosophie“ Wolfgang „Israel“ Leppmann. Die „politische Einstellung“ meinte der Beamte mit einem Wort zusammenfassen zu können: „Jude“. Die Gestapo empfahl außerdem, Leppmann zu „evakuieren“. Dem Antrag wurde stattgegeben. Wann und mit welchem Transport er nach Auschwitz deportiert wurde, ist unbekannt. Es könnte ein sogenannter Kleintransport gewesen sein, zu denen sich in der Regel keine Namenslisten mehr finden lassen. Deshalb liegt auch im dunkeln, wie lange er in Auschwitz blieb und wie er ums Leben kam. Gesichert ist nur eines: Ein SS-Oberscharführer sandte an Charlotte Schick die Mitteilung: „Wolfgang Israel Leppmann … ist am 14.9.1943 an den Folgen von Sepsis bei Phlegmone im hiesigen Krankenhaus verstorben. Die Leiche wurde … im staatlichen Krematorium eingeäschert. Die Sterbeurkunde erhalten Sie anliegend.“

Volltext als Datei (PDF, 2.415 kB)