Titelbild Osteuropa 8/2004

Aus Osteuropa 8/2004

Klarer als der Lärm der Geschichte
Nachruf auf Czesław Miłosz

Ulrich Schmid

Abstract

Am 14. August 2004 ist der Literaturnobelpreisträger Czesław Miłosz in Krakau gestorben. Sein gesamtes Werk kann verstanden werden als Versuch, den prekären Lauf der Geschichte, die modernen Ideologien und die eigene Biographie einer kontinuierlichen Deutung zu unterziehen. Miłosz’ Essays und Gedichte zeichnen sich durch einen eigenartigen Autobiographismus aus, in dem das Ich bisweilen direkt als Subjekt der Erzählung auftritt, öfter aber auch nur in mehrfacher Brechung und Spiegelung als narrativer Fluchtpunkt erahnbar ist. Als junger Autor befürwortete er ein elitäres Dichtungskonzept, von dem er sich aber bereits Mitte der 1930er Jahre wieder verabschiedete. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat er in den Dienst des kommunistischen Regimes. Im Jahr 1951, auf dem Höhepunkt des polnischen Stalinismus, lief er in den Westen über. Nach einer vorübergehenden Begeisterung für esoterische Konzepte in den 1970er Jahren wandte er sich in den letzten Jahren seines Lebens einem konservativen Katholizismus zu.

(Osteuropa 8/2004, S. 3–12)