Titelbild Osteuropa 12/2004

Aus Osteuropa 12/2004

Holodomor als Waffe
Stalinismus, Hunger und der ukrainische Nationalismus

Gerhard Simon

Abstract

Die von der Führung der UdSSR organisierte Hungersnot in der Ukraine war ein Instrument zur Konsolidierung des Stalinismus. Daher ist die Kontroverse gegenstandslos, ob sie sich gegen die Bauern oder die Ukrainer richtete. Beide waren gleichermaßen „Feinde“. Die durch die Zwangskollektivierung hervorgerufene Krise der Landwirtschaft hatte in Stalins Einschätzung die Loyalitätskrise in der Ukraine offensichtlich werden lassen. Er fürchtete, „die Ukraine zu verlieren“. Deshalb wurde der Hunger als Waffe gegen das ukrainische Dorf eingesetzt, wo der Widerstand gegen Kollektivierung und Getreiderequirierungen national aufgeladen war. Zugleich wurden die ukrainischen Nationalkommunisten und die ukrainische Intelligenz einer bis dahin beispiellosen Welle von Säuberungen und Repressalien unterworfen und vielfach umgebracht. Dauerhaft konnte das ukrainische nationale Bewußtsein dennoch nicht zerstört werden.

(Osteuropa 12/2004, S. 37–56)